"Fotografieren ist wie Bogenschiessen: richtig zielen, schnell schießen, abhauen."
Henri Cartier-Bresson
Als ich noch schwer mit analoger Kamera, zahllosen Objektiven,
schwarzem Sack,Vorsatzlinsen und zahllosen Filmen bepackt unterwegs war, erbat ich
prinzipiell die Erlaubnis jener Menschen, die ich abbilden wollte.
Diese Maxime, die ich in vielen Workshops zum Thema Photographie den
Teilnehmenden geradezu gewaltvoll vermittelte, war für mich unumstößlich.
"To photograph people is to violate them, by
seeing them as they never see themselves, by having knowledge of them that they
can never have; it turns people into objects that can be symbolically
possessed." Susan Sontag, On Photography
Meist gaben mir die Gefragten die Zustimmung, meist setzten sie sich in
Pose. Sie zeigten sich mir so, wie sie von mir gesehen werden wollten.
Mein Lieblingsbeispiel ist das Bild einer Frau in Nicaragua, die sich
und ihre Freiluftwaschküche stolz präsentierte. Trotz meiner schlechten Spanisch-Kenntnisse entspann
sich ein wunderbares Gespräch, an das ich mich heute noch erinnere.
Bleiben wir in Nicaragua, weil ich einige der verblassenden und in alle
Farbnuancen abgleitenden Dias aus dem Jahr 1985 kürzlich gescannt und so zu retten versucht habe.
Da gibt’s
noch die Landarbeiterinnen, die mir die aus österreichischem Saatgut
gezüchteten und wegen des inkompatiblen Klimas ungenießbaren Radieschen
lachend entgegenhalten, die Arbeiterin ohne Atemschutz in einer mit Fasern bedeckten Baumwollfabrik
oder die Teilnehmerin an einem Alphabetisierungsprojekt, die mit extremer Würde
vor ihrem Lesebuch sitzt.
Ich nahm mir Zeit zur Annäherung, Zeit für die Aufnahme und Zeit für
die Einblicke, die mir diese Frauen und viele andere Abgelichtete gewährten.
Im Gegensatz dazu machte ich natürlich auch „Schnappschüsse“. Der
Gewalt der Photographie, die sich auch sprachlich niederschlägt, werde ich mich an
anderer Stelle widmen…
„Gewaltvolle“ Schnappschüsse waren vor allem dann an das Gebot der Stunde,
wenn es um das Festhalten von Gewalt ging. Den Tätern kein Mitleid. Wenn das
nur so einfach wäre…
Eines der ausdruckstärksten Bilder habe ich nie gemacht, es ist aber
seit Jahrzehnten in meinem Kopf: als ich mit einem Kollegen auf der Suche nach
Bildern zum Thema „Internationaler Frauentag“ Salzburg durchstreifte, kamen wir
an einem Puff vorbei. Schon von weitem hörten wir lautes Schreien, was das
Zücken der Kameras provozierte. Ein paar Meter vor unseren Augen (und unseren
Objektiven) flogen mit kurzem Abstand ein paar Schuhe, ein Hemd, eine Hose und
dann auch noch deren Besitzer in hohem Bogen aus dem Bordell. Während das alles
sich noch im Flug befand, wogte ein atemberaubendes Dekolleté und in der Folge
die dazugehörige Frau nach.
Es war „das“ Bild. Es wäre „das“ Bild gewesen. Wir beide ließen
ruckartig unsere Kamera sinken und schauten uns schweigend an. Es war
schlichtes Elend, das sich vor uns ausbreitete. Wir hatten nicht das Recht
dazu, dieses gnadenlos festzuhalten. Egal, was juridisch möglich gewesen wäre.
Das oben wiedergegebene Zitat von Cartier-Bresson haben wir hier nicht umgesetzt
und ich bin froh darüber. Aber ich habe mich der Bogenschießart inzwischen
angenähert.
Rümpfte ich früher über die „Knipser“ die innere Nase, war es mir aus
photographischem Hochmut nicht möglich, mir eine der leistbaren und daher technisch sehr
bescheidenen ersten Digitalkameras zuzulegen. Knipsen nein danke! Lieber weiter
schleppen und „ordentliche Bilder“ machen.
Dann trat aber das erste Handy mit Photo-Funktion in mein Leben und
veränderte es von Grund auf. Es enthemmte mich, beendete meine Dünkel. Denn das
war ja eindeutig nicht Photographieren, das kam an eine Lomo und die
überbordende Lust am Unperfekten heran.
Lomo wurde sogar übertroffen. Für die erste Serie „Paris en passant“,
raste ich geradezu durch die Stadt mit dem Spaß, mich der Tücke sowohl des
Objekts als auch des Subjekts zu stellen. Nein, nicht zu stellen, ihr zu begegnen.
Das Resultat von extrem langer Verzögerung der Kamera und dem am Gang
der Entgegenkommenden abzulesenden pulsierenden Rhythmus der Großstadt in Kombination mit
meiner Raserei waren zahllose Bilder, auf denen ausser verwischtem Pflaster
überhaupt nichts zu sehen war, Menschen ohne Unterleib, wilde durchs Bild rasende Mähnen, die für nichts anderes mehr Platz ließen.
Um wieder auf den Satz von Cartier-Bresson
zurückzukommen: ich haute ab bevor ich zielte. Obwohl das zwar witzig klingt, nicht aber stimmt. Bildkomposition fand statt. Nur hielten sich die Abzubildenden oft nicht daran.
Jene Bilder, bei denen ich beim Auslösen sowohl meine Geschwindigkeit als auch die der Entgegenkommenden richtig in Relation zur Verzögerung der Kamera setzte, waren dafür umso beglückender. Und ins Bild Rennende bringen zumindest Bewegung mit. Was mit den folgenden Paris-Photos, die den Stein des Anstoßes (sprich meiner Enthemmung) darstellen, bewiesen sei.
Das war 2005. Inzwischen sind die Kameras der Mobiltelefone um
Lichtjahre besser, die Verzögerung beim Auslösen ist fast nicht mehr vorhanden.
An meinen später entstandenen MOBILdern erkennt man die technische Qualitätssteigerung.
Nach wie vor bin ich aber froh, wenn sich die von mir „ins Visier“
Genommenen langsam bewegen, wenn das Objekt meiner Photographier-Begierde in
einem günstigen Winkel auf mich zukommt oder sich gar in Ruheposition befindet. Nach wie vor frage ich oft nicht, sondern mache meine
Bilder „en passant“.
Nur inzwischen auch mit der Digitalkamera, nicht mehr nur mit dem Mobiltelefon (Das folgende Bild wurde mit dem Nokia Handy der ersten Photo-Generation 2006 in Paris aufgenommen, das nächste 2009 mit einer Lumix DMC-FX07 in Chaniá).
Ich stelle mir noch einmal die Frage: Bedeutet also "SCHNELLER" auch "KONTAKTLOSER"?
Ich glaube, das ist nicht die richtige Frage.
Photographiere ich Menschen, dann nehme ich Kontakt auf, nehme mir Zeit für den Beziehungsaufba. Photographiere ich aber Situationen, will ich die Atmosphäre eines Augenblicks oder einer Stadt wiedergeben (die ja zu einem Großteil von Menschen abhängig ist), dann ist Geschwindigkeit nicht unbedingt das Kriterium. Aber die einzelne Person ist per se nicht wichtig.
Man kann mir den Vorwurf machen, dass ich damit das Degradieren zum
Objekt auf die Spitze treibe. Mag sein.
Aber ich erzähle mit meinen Bildern
Geschichten. Nicht von einem bestimmten Menschen, sondern von einem bestimmten
Ort, einer bestimmten Stimmung. Nicht nur die oder der Einzelne, sondern auch das Einzelbild dieser Serien hat nur Gewicht in der Zusammenschau.
Vielleicht sind diese zwei so unterschiedlichen Arten meines
Photographierens von Menschen mit den Forschungsgebieten von Psychologie und Soziologie zu vergleichen?
Ich denke weiter darüber nach.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Über konstruktive Kommentare, Fragen und Anregungen freue ich mich!