Hoch an der Zeit,
gnadenlos ehrlich zu sein. Auf den Tisch zu legen (bzw. in die Tastatur zu
hämmern), dass ich nicht so ganz über den Eitelkeitsdingen stehe, wie es mir
lieb wäre und ich mir und vor allem anderen weismachen will.
Ja,
es gibt schöne alte Gesichter. Alte Menschen
strahlen Leben und Zeit aus – wenn sie denn wirklich gelebt haben und das Ablesen zulassen. Diese Gesichter wecken Interesse, sind interessant.
So
sehr ich es mir auch einreden möchte: Ich bin nicht frei von den gängien
Schönheitsnormen und dieselben signalisieren ohn Unterlass, dass sich das
Aussehen im Alter ja doch nicht wirklich verbessert.
Interessant…
Vor Jahren verfasste ich mit einer Kollegin eine vergnügliche Arbeit zum Thema
Frauen, Schönheit und Alter. Da legten wir dann auch einige Portraits von alten
Frauen bei und fragten, wer besonders ansprechend sei. Absolute Favoritin war
Simone Signoret. Konventionell betrachtet versoffen, verlebt. Ein Gesicht wie
ein aufgequollenes Karstmassiv. „Beeindruckend, toll, das Gesicht hat was! Sehr interessant.“
Darin war sich die Mehrzahl der Interviewten einig.
Wenig
später jedoch verfiel die Begeisterung der Befragten für dieses beeindruckende
Gesicht drastisch. Die Frage lautete nämlich diesmal: wie welche dieser Frauen
wollen Sie im Alter aussehen. Tja. Interessant auszuschauen ist nicht sehr
begehrt.
Natürlich
gebe ich vor, weit über all diesen Niederungen der Eitelkeit zu stehen. Das
gebietet mein mühsam aufgebautes Image. Daher lege ich höchsten Wert darauf,
diskret und unauffällig Zensur über jene Bilder zu verhängen, auf denen ich mir
nicht gefalle – und der Prozentsatz wird immer kritischer.
Was
das alles mit Gérard Depardieu zu tun hat?
Vor
einem Jahr erschütterte mich ein Bild von ihm auf der Titelseite des Zeit
Magazins bis in die Knochen. Im klassischen Sinn schön war er ja nie. Aber er strotze vor Virilität,
was ihn einen kräftigen Hauch von Erotik ausstrahlen ließ.
Mein
visueller Kontakt mit dem privaten Depardieu dürfte schon eine Weile her gewesen
sein und in Unterhemd hatte ich ihn noch nie vorher zu Gesicht bekommen. Bei
seiner Rolle als Obelix, die er in weiten Strecken mit entblößtem Oberkörper
spielte, ging ich von einer begnadeten Kostümbildnerin aus. Nach der einschneidenden
Bildbetrachtung mutmaße ich, dass sie vielleicht dabei doch nicht so viel
Arbeit hatte wie angenommen.
Das
Photo, das mir in die Knochen fuhr, zeigte eine Mischung zwischen betagtem Gerd
Fröbe und Quasimodo, und aus dem fleckigen ärmellosem Unterhemd in zartem
hellblau quoll in Fülle ohne Hülle Faltiges. Höchst unviril. Das Glas bestimmt köstlichen
Rotweins in seiner Hand konnte da auch nicht viel retten.
Die
restlichen Photos legten dann alles bloß, was noch an Begehrlichkeiten der
Schönheitschirugie aufzubieten ist: Schlupflider, Trippelkinn, Stiernacken,
schütteres Haar, schlaffes Fleischliches im Überfluss.
Einfach
grandios! Diese Bilder stoßen mich an meine Grenzen. Bin erbost, dass sich
jemand meiner Vorstellung so schamlos entziehen kann. Depardieu als alter Mann im Östrogentaumel?
Gibt es nicht, darf nicht sein. Bin gleichzeitig fasziniert, dass er sich dem - mit einigem
guten Willen zu kopierenden – Erscheinungsbild der Reichen, Schönen und ewig Jungen so
dreist entzieht. Flott tirilierend auf diesen Schein pfeift.
Muss
man dafür ein Weingut samt Schloss in Frankreich besitzen? Oder Weltstar sein?
Oder reicht es, Mann zu sein?
Der
dritte Blick reißt mir den gängigen Schleier der Ästhetik von den Augen. Ich
sehe nichts Schlaffes mehr, sondern pralles Leben. Keine Schlupflider, sondern
klare, scharfe Augen. Ein Spiel mit sich und den Betrachtenden. Eine Rolle, die
nicht auf Gefallen zielt.
Ich
habe meine unliebsamen Photos wieder aus der Versenkung geholt und meine Zensurfreude eingebremst. Das Vor-Bild
von Monsieur Depardieu werde ich aufheben, es gibt mir Lust am Altern.
Wie sagt Depardieu im Arikel? "Du bist nur gut, wenn du Dinge machst, die dir selbst ähnlich sind."
In diesem Sinne werde ich weiter machen mit meiner Metamorphose.
PS: Der
lesenswerte Artikel und die leider nur im Detail (sprich als Ausschnitt) wiedergegebenen Bilder des Anstoßes findet man zum Selbsttest im Archiv von DIE ZEIT.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Über konstruktive Kommentare, Fragen und Anregungen freue ich mich!