Dienstag, 4. Oktober 2011

FESTGEHALTEN

Mein photographischer Ursprung liegt eindeutig bei den Sammlerinnen, nicht bei den Jägern.
Wegwerfen ist ein Fremdwort für mich und ich halte mich an den kolportierten Spruch meines Urgroßvaters: "In sieben Jahren kommt alles zurecht". Als Kind glaubte ich, dass nach sieben Jahren alles zurückkäme und stellte mir mit schreckensweiten Augen vor, wie die mühsam zugepresste Schreibtischklappe sich nach sieben Jahren öffnen und ihren Inhalt über mich ergießen würde.
Diese Traumatisierung brachte aber keinen Entwicklungsschub meiner Wegwerfmentalität. Im Gegenteil.

Gleiches durch das Gleiche zu heilen – wie die Homöopathie exerziert – war möglicherweise mein frühreifer Schluss. Oder vielleicht war ich kindliche Pragmatikerin und machte das Beste aus der Situation? Wenn ich schon nicht ordentlich werden kann, dann wenigstens ordentlich unordentlich. Damit es sich in sieben Jahren wenigstens lohnt und ich mit einem fulminanten Comeback des Gehorteten beglückt werde. Wenn schon, denn schon.
Obwohl ich ein Nachkriegskind bin, geht es eigentlich nicht um das Häufen von Werten. Oder um Sparen für schlechtere Zeiten. Es ist schlicht und ergreifend die Unfähigkeit, mich von etwas zu trennen.
Denn ich halte es mit dem kleinen Prinzen: "Was die Rose so wertvoll macht, ist die Zeit, die Du mit ihr verbracht hast." Die Zeitschrift aus dem Jahr 1975 hat mich als junge Mutter, die zwischen Bauklötzen und Schmusetieren hockend darin blätterte, erlebt. Der Weizen aus den 80er-Jahren, an denen sich die Mäuse laben, ist noch vor dem Tschernobil-Desaster gewachsen. Der Webstuhl, der den halben Dachboden verstellt, war Arbeitsgerät eines alten Mannes, den ich zwar nie kennengelernt habe, aber dessen mir bekannte Tochter ihn verheizen wollte. Wie kann ich diese Geretteten dem Verderb preisgeben, nur weil mein Dachboden an den Grenzen seiner Kapazität angekommen ist? Eben!
Aber es gibt noch einen anderen Grund: ich bin ein barocker Mensch, lebe in der Fülle und aus der Fülle. Meine Gedanken entstehen nicht in der Zurückgezogenheit, sondern sie finden ihre Nahrung an Gesehenem. Wenn mein Blick auf etwas fällt, tun sich Tiefen und Weiten auf.
Dazu muss ich weder etwas be-sitzen, noch er-stehen. Ich kann mir diese Welten er-gehen, um mich darin zu ergehen.
Genau an diesem Punkt explodiert meine Lust, das Gesehene und in meinem Kopf Gesammelte festzuhalten. Den Augenblick einzufrieren, das eben Gefühlte zu konservieren. Denn ohne Gefühl kein Bild. Zumindest kein gutes.
"Fotografien sammeln heißt die Welt sammeln" postuliert Susan Sontag in "Über Photographie". Da stimme ich ihr zu.
Sammeln von Photos sehe ich nicht als verwerflich, solange ich mir bewußt bin, dass ich nur mein Bild von der Welt sammeln kann. Ich kann und vor allem will nicht die Welt sammeln, schon gar nicht die Menschen, deren Abbild ich mir aneigne. Ich sehe die Welt mit meinen Augen, gebe sie aus diesem Blickwinkel wieder und bin mir der Subjektivität bewußt. Ich bin dankbar für die Einblicke, die mir gewährt werden.
Ich stelle mit meinen Bildern Beziehung her und baue eine Beziehung zu den Bildern auf. Wie das Sammlerinen so tun.
Je mehr Zeit jedoch zwischen dem Festhalten und dem Betrachten des Bildes verstrichen ist, je länger ein Photo in meiner Sammlung abgelegen ist, desto mehr löst es sich vom tatsächlichen Bild. Eine Abstraktion greift Raum, quasi eine Entfremdung. Die Relation zwischen den Bildkomponenten, das Licht und die Komposition treten in den Vordergrund und erst dann ist es mir wirklich möglich, die Qualität des Photos einzuschätzen.
Nur wenige meiner Photos halten meiner Kritik stand, wenn ich mich denn zu selbiger aufschwinge. Ich tröste mich mit den Worten von Ansel Adams: „Twelve significant photographs in any one year is a good crop“. Weniger aufbauend ist dabei dieses Zitat, das sowohl Helmut Newton, als auch Henri Cartier-Bresson zugeschrieben wird: "Die ersten 10.000 Aufnahmen sind die schlechtesten". Ich kann leider nicht sehen, dass sich nach meinen ersten 10.000 Aufnahmen die Qualität der Bilder extrem gesteigert hat.
Ein weites Feld für endlose Betrachtungen eröffnet sich… Aber nun zurück zu meiner Sammelwut, zurück zum Festhalten.
Tröstlich ist für mich, dass diese Bilder, sowohl auf Barytpapier als auch gepixelt, nicht nur nach sieben Jahren zurückkommen. Nein, sie bleiben auf Dauer. Wenn bei letzteren nicht der Datenträger den Geist aufgibt.

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