Frau war am Genesungswerk und daher beschränkt einsatzfähig. Was lag also näher, als gemütliche Arbeit im Sitzen zu erledigen und zB ein Lederschlauferl an einer Jacke anzunähen, das schon seit längerem fröhlich und frei vor sich hinwachelte? Also nix wie hin zum Nähkastl, diesmal zu jenem im Wohnzimmer. Es steht ja eine größere Auswahl an ererbten Handarbeitsteilen zur Verfügung.
Und da breitete sich eine über die Jahrzehnte entstandenes, kunstvolles Chaos vor den nicht sonderlich erstaunten Frauenaugen aus. Diesen Anblick erspare ich Ihnen. Um ehrlich zu sein: da ich anfangs nicht wusste, dass mich der Ordnungswahn packen würde, habe ich vom Urzustand keine Bilder gemacht. Aber sehr wohl von beiden kleinen Laden in ihrem nunmehrigen, wohlgeordneten Zustand.
Nun könnte ich wieder einmal aus dem Nähkästchen plaudern und in gewissem Sinn tu ich das auch. Ich plaudere über dessen Inhalt. Mir ist kein Thema zu minder, kein Inhalt zu banal. Und lesen muss mein Nähkästchentagebuch ja niemand.
Während ich also vor mich hinsortierte und mich unentwirrbar scheinenden Fadennestern widmete, kam mir natürlich der Gedanke nach der Sinnhaftigkeit meines Unterfangens. Den Großteil der seit mindestens drei Generationen gehorteten Kostbarkeiten werde ich nie verwenden. Und da meine ich nicht nur die weißen Strapse, Trägerbandhalter oder Schlupferl (dtdt: Mantelaufhänger), die ich zu meinem großen Vergnügen in einer der Laden gefunden habe.
Nein, all die Nähseiden, Zwirne, Stopfwollen, Knöpfe, Druckerl (dtdt: Druckknöpfe), Haftln und all die anderen Kostbarkeiten - ich werde sie kaum je verwenden und bestimmt nie aufbrauchen und die Freude der nächsten Generationen über dieses Erbe wird sich endenwollend gestalten. Warum tu ich mir also diese Mühe an?
Offenbar aus dem gleichen Grund, aus dem ich jedes Marmeladeglas und jede Milchflasche von ihrem Etikett befreie und für die Verwendung beim Einkochen aufhebe. Auch hier: viel zu viel Zeit verplempert, viel zu viel Material gehortet.
Wenn ich diesen unseligen Hang zum Horten und den dazugehörigen Arbeitsaufwand doch erkenne, warum tu ich es trotzdem? Weiß ich mit meiner Zeit nichts besseres anzufangen?
Natürlich habe ich dafür mehrere schlüssige Ausreden. Erstens bin ich genetisch vorbelastet. In meiner Ursprungsfamilie wurde nichts weggeschmissen. Zweitens gehöre ich der Nachkriegsgeneration an. Die schmeißt schon überhaupt nix weg. Und drittens entziehe ich mich der Wegwerfgesellschaft. Viertens, und das ist nicht unwesentlich, liebe ich die Ästhetik von Alltagsgegenständen, vor allem auch die darauf abzulesenden Gebrauchsspuren.
Was mir aber beim Aufräumen des Nähkastls in den Sinn gekommen ist, geht noch weit darüber hinaus. Es gilt, zugegeben, nicht für das stundenlange Herumfiezeln an kaum abzulesenden Etiketten, aber für das Aufheben und nicht Wegwerfen können ist es wahrscheinlich die schlüssigste und ehrlichste Begründung.
All diese Dinge, mit denen ich mich so gerne umgebe, sind ein be.greifbares Stück Vergangenheit. Jener Vergangenheit, an die ich mich gerne zurückerinnere. Nicht dauernd, aber manchmal.
So stieg in mir angesichts der sich aufrollenden Nähseiden die Erinnerung an Kindheitstage hoch, als ich manchmal der Bitte meiner Mutter folgte und zumindest eine der beiden Laden aufräumte. Was auch die nächste Generation - gar nicht so ungern - erledigte.
Auch kann ich mich an viele der Kleidungsstücke erinnern, an denen die Knöpfe angebracht waren oder für die Garn bestimmt war. An mein hübsches weißes Batistnachthemd zum Beispiel, das mit unzähligen stoffüberzogenen Knopferl versehen war, was das An- und Ausziehen etwas mühsam machte. Oder die olivfarbene Jacke meiner Mutter, die am Ärmel ein kleines Loch hatte, das mit der Stopfwolle fast unsichtbar geschlossen wurde.
Besondes erinnerungsträchtig war dann auch der absolut nicht ins Kastl gehörende (oder nicht mehr hineinpassende) Rest. Von der Beißzange aus dem Kinderwerkzeugkasten bis zum Lippenbalsam, vom in die Jahre gekommenen Ledershampoo für Handschuhe bis zum zerschlissenen Papiersackerl aus Griechenland.
Die beiden Stoffradln zum Übertragen von Schnitten mit Hilfe von Durchschlagpapier (ddtdt: Durchschreibepapier) auf Stoff werden in einem der anderen nähzeugbestückten Erbmöbel untergebracht werden, der zahnlose Wollkamm hingegen wird wie so einiges doch dem Mistkübel überantwortet werden. Hie und da kann ich das Wegwerfen ja doch.
Aus dem Gewirr der entfesselten Nähseiden und Zwirne hab ich lediglich ein Perlgarn gerettet, das die Ungeduld jener darlegte, die vor mir versuchten, das Knäuel zu entwirren. Es war viele Male durchschnitten, aber nie aufgewickelt worden. So folgte ich also diesem roten Faden, der, aneinandergeknüpft, locker Theseus aus dem Labyrinth hätte befreien können. Nach getaner "Arbeit" kam ich mir geradezu heldenhaft vor.
Andere Reste wiederum haben Familiengeschichte heraufbeschworen. Das Spielgeld aus der Kinderpost, das Matadorstifterl, das 10 Groschenstück. Ich weiß, wer das alles hineingemogelt hat. Nur der Ikea-Bleistift weist auf mich als Täterin hin. Die geniale Erfindung, zum Einziehen von Gummi ein Teil aus einem Leitz-Ordner zu verwenden, dürfte hingegen meiner Mutter zuzuschreiben sein.
So habe ich denn diese und viele andere Gedanken gewälzt, mich in liebevollen Erinnerungen ergangen, ein Lied auf die Langsamkeit gesungen und mich zumindest kurzfristig mit meinem Nichtwegschmeißenkönnen versöhnt.
Übrigens: das Lederschlauferl ist noch immer nicht befestigt. Man muss in seinem Leben eben immer Prioritäten setzen. Und außerdem bin ich bei näherer Betrachtung draufgekommen, dass es nicht angenäht, sondern eingepickt war.
Nun könnte ich wieder einmal aus dem Nähkästchen plaudern und in gewissem Sinn tu ich das auch. Ich plaudere über dessen Inhalt. Mir ist kein Thema zu minder, kein Inhalt zu banal. Und lesen muss mein Nähkästchentagebuch ja niemand.
Während ich also vor mich hinsortierte und mich unentwirrbar scheinenden Fadennestern widmete, kam mir natürlich der Gedanke nach der Sinnhaftigkeit meines Unterfangens. Den Großteil der seit mindestens drei Generationen gehorteten Kostbarkeiten werde ich nie verwenden. Und da meine ich nicht nur die weißen Strapse, Trägerbandhalter oder Schlupferl (dtdt: Mantelaufhänger), die ich zu meinem großen Vergnügen in einer der Laden gefunden habe.
Nein, all die Nähseiden, Zwirne, Stopfwollen, Knöpfe, Druckerl (dtdt: Druckknöpfe), Haftln und all die anderen Kostbarkeiten - ich werde sie kaum je verwenden und bestimmt nie aufbrauchen und die Freude der nächsten Generationen über dieses Erbe wird sich endenwollend gestalten. Warum tu ich mir also diese Mühe an?
Offenbar aus dem gleichen Grund, aus dem ich jedes Marmeladeglas und jede Milchflasche von ihrem Etikett befreie und für die Verwendung beim Einkochen aufhebe. Auch hier: viel zu viel Zeit verplempert, viel zu viel Material gehortet.
Wenn ich diesen unseligen Hang zum Horten und den dazugehörigen Arbeitsaufwand doch erkenne, warum tu ich es trotzdem? Weiß ich mit meiner Zeit nichts besseres anzufangen?
Natürlich habe ich dafür mehrere schlüssige Ausreden. Erstens bin ich genetisch vorbelastet. In meiner Ursprungsfamilie wurde nichts weggeschmissen. Zweitens gehöre ich der Nachkriegsgeneration an. Die schmeißt schon überhaupt nix weg. Und drittens entziehe ich mich der Wegwerfgesellschaft. Viertens, und das ist nicht unwesentlich, liebe ich die Ästhetik von Alltagsgegenständen, vor allem auch die darauf abzulesenden Gebrauchsspuren.
Was mir aber beim Aufräumen des Nähkastls in den Sinn gekommen ist, geht noch weit darüber hinaus. Es gilt, zugegeben, nicht für das stundenlange Herumfiezeln an kaum abzulesenden Etiketten, aber für das Aufheben und nicht Wegwerfen können ist es wahrscheinlich die schlüssigste und ehrlichste Begründung.
All diese Dinge, mit denen ich mich so gerne umgebe, sind ein be.greifbares Stück Vergangenheit. Jener Vergangenheit, an die ich mich gerne zurückerinnere. Nicht dauernd, aber manchmal.
So stieg in mir angesichts der sich aufrollenden Nähseiden die Erinnerung an Kindheitstage hoch, als ich manchmal der Bitte meiner Mutter folgte und zumindest eine der beiden Laden aufräumte. Was auch die nächste Generation - gar nicht so ungern - erledigte.
Auch kann ich mich an viele der Kleidungsstücke erinnern, an denen die Knöpfe angebracht waren oder für die Garn bestimmt war. An mein hübsches weißes Batistnachthemd zum Beispiel, das mit unzähligen stoffüberzogenen Knopferl versehen war, was das An- und Ausziehen etwas mühsam machte. Oder die olivfarbene Jacke meiner Mutter, die am Ärmel ein kleines Loch hatte, das mit der Stopfwolle fast unsichtbar geschlossen wurde.
Besondes erinnerungsträchtig war dann auch der absolut nicht ins Kastl gehörende (oder nicht mehr hineinpassende) Rest. Von der Beißzange aus dem Kinderwerkzeugkasten bis zum Lippenbalsam, vom in die Jahre gekommenen Ledershampoo für Handschuhe bis zum zerschlissenen Papiersackerl aus Griechenland.
Die beiden Stoffradln zum Übertragen von Schnitten mit Hilfe von Durchschlagpapier (ddtdt: Durchschreibepapier) auf Stoff werden in einem der anderen nähzeugbestückten Erbmöbel untergebracht werden, der zahnlose Wollkamm hingegen wird wie so einiges doch dem Mistkübel überantwortet werden. Hie und da kann ich das Wegwerfen ja doch.
Aus dem Gewirr der entfesselten Nähseiden und Zwirne hab ich lediglich ein Perlgarn gerettet, das die Ungeduld jener darlegte, die vor mir versuchten, das Knäuel zu entwirren. Es war viele Male durchschnitten, aber nie aufgewickelt worden. So folgte ich also diesem roten Faden, der, aneinandergeknüpft, locker Theseus aus dem Labyrinth hätte befreien können. Nach getaner "Arbeit" kam ich mir geradezu heldenhaft vor.
Was ich auch genossen habe bei meiner kontemplativen "Arbeit": die Gerüche. Das kleine Glas, in dem ehedem die Vitamintabletten meiner Mutter gelagert waren, hat den Geruch über die Jahrzehnte nicht ganz verloren und auch der Tabakdose, in der die Knöpfe wohnen, ist ihre ursprüngliche Bestimmung noch anzuschnüffeln.
Es war eine Zeitreise, auch sprachlich. Nicht nur, dass ich teilweise jetzt beim Schreiben mit den Wörtern gerungen habe, weil ich Wörter das einschlägige Vokabular höchst selten benutze. Auch die Beschriftung hat mich um Jahrzehnte zurückversetzt. Oder werden Druckerl heute noch "Zukunft" benannt und sind sie "verbürgt rostfrei"?
Andere Reste wiederum haben Familiengeschichte heraufbeschworen. Das Spielgeld aus der Kinderpost, das Matadorstifterl, das 10 Groschenstück. Ich weiß, wer das alles hineingemogelt hat. Nur der Ikea-Bleistift weist auf mich als Täterin hin. Die geniale Erfindung, zum Einziehen von Gummi ein Teil aus einem Leitz-Ordner zu verwenden, dürfte hingegen meiner Mutter zuzuschreiben sein.
So habe ich denn diese und viele andere Gedanken gewälzt, mich in liebevollen Erinnerungen ergangen, ein Lied auf die Langsamkeit gesungen und mich zumindest kurzfristig mit meinem Nichtwegschmeißenkönnen versöhnt.
Übrigens: das Lederschlauferl ist noch immer nicht befestigt. Man muss in seinem Leben eben immer Prioritäten setzen. Und außerdem bin ich bei näherer Betrachtung draufgekommen, dass es nicht angenäht, sondern eingepickt war.
Das ist herrlich das ist die Poesie des Nähkaestchens.
AntwortenLöschenJede Deiner Erinnerungen war für mich ein Zurück in meine Kindheit
In der Schule habe ich ein Nähkaestchen machen müssen eh dürfen Ich habe es einer meiner Mütter zu Weihnachten geschenkt
Sehe mich gerade alles Ausräumen und wieder in eine sogenannte Ordnung zu bringen
Danke Dir sehr meine liebe Susanne ❤️
Tut mir leid Heiner, ich hab erst jetzt Deinen Kommentar entdeckt, weil ich nicht wie sonst eine Verständigung bekommen hab.
LöschenDanke für Deine lieben Worte!
wunderschön geschrieben und fotographiert. Erkenne mich wieder und geniesse, wie Du es in Worte findest:-)
AntwortenLöschen