Dienstag, 15. Dezember 2015

DIE WAHRE GESCHICHTE DER VANILLEKIPFERL

Frau ist weiter ab und zu am Vorweihnachtswerk - und das ist gut so. Nicht hektisch sondern (meistens) entspannt und locker. Das wiederum hat seinen Grund: nichts Sinnloses, Vermeidbares macht sich im Werk breit. Das wiederum heißt, dass hier und da kleine Änderungen des Plans angebracht werden.


So zum Beispiel bei den Vanillekipferl. Jahrelang war mir die Wuzelei zu blöd und ich erklärte mein Haus als vanillekipferlfreie Zone. Weil ein sehr lieber, mir und den Keks naher Mensch sie jedoch gar so gern mag, habe ich in den sauren Apfel in seiner süßen Vanillekipferlform gebissen und bin nun schon das vierte Jahr wieder in die Vanillekipferlproduktion eingestiegen.


Heuer hatte ich aber überhaupt keine Lust aufs Wuzeln. Daher habe ich mich vorerst in die Geschichte der Vanillekipferl vertieft. Habe mich gefragt, warum sie denn diese Form haben und bin zu einer eindeutigen, überaus plausiblen Antwort gekommen.



Selbige könnte ich jetzt in Wissenschaftssprache mit einigen (gefälschten) Quellen und dem einen oder anderen Torten-... nein: Keksdiagramm aufgemotzt darlegen. Weil aber Advent ist, erzähle ich lieber eine Geschichte. Die einzig wahre Geschichte der Vanillekipferl.


Es war also einmal vor vielen, vielen Jahren eine Frau, die in der Vorweihnachtszeit eifrig für ihre Kinder und ihren Mann Keks buk. Mit Hingabe bereitete sie den Teig zu, für den sie nur das Allerbeste verwendete: duftende Butter vom eigenen Hof, schneeweißes Mehl von der Mühle am rauschenden Bach, knackige Mandelkerne aus dem Land, wo die Zitronen blühn und himmlische Vanille, die aus dem fernen Orient in ihre heimelige Küche mit dem großen Holzofen eingezogen war.


Ihre flinken Hände bereiteten einen zarten, geschmeidigen Teig und nachdem dieser ebenso wie die Bäckerin fein geruht hatte, machte sie sich frohgemut ans Auswalken und Ausstechen. Und weil es ein so besonders gemütlicher, glücklicher Tag war und neben ihr die immer voller werdende Keksdose stand, stopfte sie sich fleißig das eine oder andere köstliche Gebäck mit der hübschen quadratischen Form in den Mund.



Aber ach, da stürmte ihr jähzorniger Mann in die Küche. Dem gefiel es gar nicht, dass seine Frau statt brav und ordentlich das Haus zu putzen frisch fröhlich ein Keks nach dem anderen zuerst in den Ofen und dann in den Mund schob. Er tobte, schrie herum und wollte schon die Hand gegen sie erheben. Aber da kam er kurz zur Besinnung und griff statt dessen nach dem Nächstbesten, dessen er habhaft werden konnte.


Und was war das? Richtig! Ein zartes, mit Hingabe mühsam ausgewalktes und akkurat ausgestochenes, ungebackenes Vanillekeks. Quadratisch, praktisch gut war es gewesen. War es gewesen, ursprünglich.

Seine entsetzte Frau schrie so laut es ihr voller Mund erlaubte: "Ftefan laff daf! Gib'f her!" Aber ach, es war zu spät.


Voll der nun endlich über ihn gekommenen Scham öffnete der Mann seine Faust und darin lag ein wurstartiges, gebogenes Gebilde. Ein Gebilde von Menschenhand, im wahrsten Sinn des Wortes.


Das darauf Folgende ist rasch erzählt: der in aller Munde befindliche Weihnachtsfrieden (oder doch die ebenfalls dort vorhandenen Keks? Wer weiß...) führte zur Spontanversöhnung. Damit so etwas nie wieder vorkommen sollte, beschloss die Frau, von nun ab als süße, aber eindringliche Erinnerung jedes Jahr ein Blech Vanillequadrate und ein Blech dieser komischen Wurstdinger zu backen. Sich an ihre Worte erinnernd gab sie ihnen auch einen Namen: Das Gibfherl war geboren


Im Zuge der dritten Phase der zweiten Lautverschiebung und durch den Einfluss regionaler Dialekte wurde dann daraus das Wort Kipferl. Dessen eigenwillige Form fand solch euphorischen Anklang, dass fürderhin weltweit unterschiedlichstes Gebäck ihm nachempfunden wurde. Ja selbst der Mond imitiert dieses Gebilde phasenweise.


Da ich eine extrem traditionsbewusste Frau bin, kann ich mich der Geschichte der Vanillekipferl nicht entziehen und daher formte auch ich dieses Jahr sowohl das gradlinige Urgebäck als auch die durch brachiale Gewalt entstandene gekrümmte Variante.

Was? Sie glauben mir nicht? Nehmen an, dass ich Ihnen Sand (oder auch bourbonesken Rohrohrvanillezucker) in die Augen streuen will? Denken, ich hätte diese ach so rührende Geschichte nur erfunden, weil ich zu faul zum Kipferlwuzeln war? Aber aber! Wofür halten Sie mich!


Hätten Sie recht, dann wären meine Keks mit der auf der Zunge schmelzenden weißen Seele und dem schwarzbraunen vanillezuckerknirschenden Äußeren nicht die mürbsten und zartesten Gipfherls auf der ganzen Welt. Ehrlich!

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