Freitag, 2. Dezember 2022

VON VORFREUDE UND NACHKLINGEN

Die Frau ist wieder einmal am Wunderwerk. Leider produziere ich keine Wunder, ich wundere mich nur. Beim nächtlichen Spaziergang knallten mir nämlich jede Menge grell beleuchteter Christbäume entgegen. Von Balkonen, aus Gärten, aus Wohnungen. Und das mag ich um diese Zeit gar nicht und das macht mich nachdenklich.


Bekanntlich bin ich ja in vorgerücktem Alter und zudem in katholischem Umfeld aufgewachsen. Da habe ich überlegt, ob meine katholische Prägung dazu führt, dass ich mit Lichterglanz und Christbaumgetöse ab November so gar nichts anfangen kann. Da rede ich noch gar nicht von den Lebkuchen im September oder den Weihnachtsmärkten von November bis Jänner. Letzteren kann ich ja weiträumig ausweichen.

In der sogenannten "guten, alten Zeit" (als das Wünschen übrigens auch nicht geholfen hat) war der Advent schlicht und glanzlos. Farblos und düster die Welt draußen, warm, aber schmucklos die Wohnung.

Der Adventkranz war der einzige riech- und sichtbare Vorbote dessen, worauf wir uns als Kinder riesig gefreut haben. Unter uns gesagt: Ich freue mich immer noch, aber dass ich ein Weihnachtsjunkie bin, habe ich eh schon mehrmals gestanden. Der Adventkranz war ein grüner Kranz, drumherum weder Mascherl noch Kugerl oder andere Schnockes. Nur vier Kerzen. 

Er war ja auch kein Deko-Element, sondern er war symbolgeladen. Das Anzünden der Kerzen - erst eins, dann zwei, dann... - wurde zelebriert. Wir sind am Tisch drum herum gesessen und haben Adventlieder gesungen, derer es übrigens viele wirklich schöne gibt.


Nicht nur die zunehmende Anzahl der Kerzen wies auf den nahenden Glanzpunkt hin, die Vorfreude steigerte sich ungehemmt, je unsaftiger sein Grün und je zahlreicher die losen Nadeln auf dem Tisch.

Die im kindlichen Empfinden quälend langsam vergehende Zeit wurde mit Basteln von unsäglichen Weihnachtsgeschenken gefüllt, verschlossene Kästen oder Laden regten zu vollkommen inadäquaten Phantasien an.


Ach ja, den Adventkalender gab es ja auch. Um ehrlich zu sein, das war nicht wirklich der optische Renner; keine Schokolade hinter den Türln des meist nicht einmal A4 großen Papierteils mit bescheidener Illustration. Aber das Aufmachen, das hat's gebracht. Ich glaube nicht, dass mich die detaillosen kleinen Bilder von Schlitten, Nüssen und Tannenzapfen wirklich beglückt haben. Dagegen spricht jedoch, dass ich mich heute zigzig Jahre danach noch genau daran erinnere, fällt mir gerade auf.


Wenn dann meine Großmutter anfing, Massen von Karotten, Kipfler Erdäpfel und Gurkerl in kleine Würfel zu schneiden (Erbsen haben zum Glück von Natur aus ein entgegenkommendes Format), wenn gar die Mayonnaise fertig, alles vermengt und im riesigen Weitling aus Steingut in die Speis gestellt wurde, war die letzte Vorstufe bis zum "Heiligen Abend" geschafft. Denn der Welsche Salat, also ein Gemüsemayonnaisesalat, wurde Jahr für Jahr am 23. vorbereitet. Geschleckt werden durfte nicht und die Speis(ekammer) war hoch und die oberen Regale, wo der Weitling thronte, unerreichbar.


Am 24. Dezember war dann Fasttag bis zum Abend. Das hatte nicht wirklich was mit Religion zu tun, eher mit der Tatsache, dass meine Mutter und meine Großmutter bis zum späten Nachmittag im Atelier standen und den Daherhetzenden ihre bestellten Photos aushändigten. Das Fastengebot kam also den beiden Frauen sehr zupass. Wobei die Auslegung des Begriffs Fasttag nicht dem Katechismus entnommen wurde: Es gab reichlich köstliches Milchbrot und Kakao zu Mittag.


Beim heutigen Spazieren ist mir durch den Kopf gegangen, dass diese ganze ursprünglich religiöse Advent-Inszenierung eigentlich ziemlich klug ist. Spannung wird erzeugt, die Vorfreude wird gesteigert.

Wenn nämlich aus dem schmucklosen Dunkel plötzlich ein Baum (in all seiner Absurdität und Pracht) mitten im Zimmer steht, jede Menge Kerzen und deren Schein wiedergebende Glaskugeln fast blenden, wenn bunt eingewickelte Pralinés süße Vergnügen versprechen und wenn zudem der Raum mit einer Überfülle von Düften gefüllt ist, dann ist das eine sinnliche Wucht!


Dieser Wunderbaum wurde dann auch in den folgenden Wochen regelmäßig beleuchtet und besungen (außer in dem Jahr, als er abgebrannt ist), er durfte still vor sich hinnadeln und wurde erst spät, nämlich am 2. Februar, endlich entsorgt. Zu Mariä Lichtmess, so der Brauch.

Ganz absichtlich habe ich nicht über den Sinn von Weihnachten für Christ:innen geschrieben, ganz bewusst bin ich nicht auf die religiöse Bedeutung des Advents eingegangen. Mein Fokus liegt - am Beispiel Weihnachten - auf der sich steigernden Freude auf etwas Besonderes, auf ein außergewöhnliches Fest.

Man muss Weihnachten selbstverständlich nicht feiern, klar. Aber wenn man schmückt, dann versteh ich nicht, dass man das ein Monat vor dem - auf die eine oder andere Weise gefeierten - Fest macht. Klar ist mir, dass dann die Christbäume am 26. Dezember schon abgetakelt auf der Straße liegen.

Ich habe Ihnen des Langen und des Breiten den Advent meiner Kindheit vor Augen geführt. Über das Gefühl meiner Kindheit am 25. Dezember aber habe ich noch nichts gesagt. Ich war immer ein bissl traurig, dass Weihnachten vorbei war. Aber der Baum war noch (lange) da - und nicht irgendwo, sondern fühlbar, beachtet, als Mittelpunkt der Nachweihnachtszeit. Das hat getröstet, der Weltschmerz wurde lind dadurch.


Dieses Nachklingen eines bewegenden Ereignisses finde ich so wichtig. Nicht nur das Hier und Jetzt, sondern auch das Vorher und Nachher. Das Nachher, das Nachklingen, ist mir mindestens ebenso wichtig wie die Vorfreude. 
 
Deshalb habe ich viel von dem, was ich Ihnen oben erzählt habe, in mein Erwachsenenleben übernommen. Habe einen schlichten Adventkranz, geschmückt wird die Wohnung erst für Weihnachten, dafür darf dann der Schmuck lange hängen oder liegen. Wenn ich faul bin und er mir vorher nicht auf die Nerven geht, dann besinne ich mich des Brauchs von Mariä Lichtmess. Tradition ist manchmal sehr praktisch.


Wobei ich aber mit der sonst krampfhaft hochgehaltenen saisonalen Tradition breche, sind die Keks. (Suchen Sie bitte kein Plural e, Keks kommt im Österreichischen ohne Plural aus. Ein Keks kommt sowieso nie allein, sonst hieße es Kek.) Die waren nämlich in meiner Kindheit Weihnachtskeks, nicht Adventkeks, was meines Erachtens unsinnig ist. Nach Weihnachten hat niemand mehr Lust auf in die Wochen gekommene Vanillekipferl, Husarenkrapferl, Muskazinerl und wie sie alle heißen. 


Die braucht es jetzt, jetzt im Advent. Die steigern die Vorfreude. Für den leiblichen Nachklang sorgt dann eher die Waage, so man sich versehentlich drauf stellt. Und da wundert sich die Frau nicht mehr. Da waren die Keks am Werk.


PS: Damit Sie nicht rätseln müssen: Die Bilder habe ich vor ein paar Jahren bei einem Novemberspaziergang am Gaisberg aufgenommen. Bin auch bei den Photos im Archivmodus.

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