Freitag, 4. Mai 2012

ICH BIN ZU JUNG FÜR MEIN ALTER

Frau macht sich wieder einmal ans AltersWerk und betont gleich eingangs, dass der schöne Titel (leider) nicht von ihr ist. Ein flotter Spruch, der durch die Sozialen Netzwerke geistert und sich großer Beliebtheit erfreut.
Wobei ich medias in (Zo)res bin. 


Ich bin zu jung für mein Alter. Welcher Referenzpunkt wird hier herangezogen? Auf welches Alterskonzept zielt der Spruch, den wir alle sofort verstehen?

Elisabeth Niejahr, Volkswirtschafterin und Journalistin bei "Die Zeit", hat in einem Vortrag die Frage aufgeworfen, warum wir uns alle jünger vorkommen, als wir de facto sind. Je nach Untersuchung divergieren tatsächliches und gefühltes Alter bis zu 15 Jahren. Sie vertritt die These, dass wir uns auf jene Bilder beziehen, die wir aus unserer Kindheit von Menschen mit 50, 60 oder welchem Alter auch immer, in unseren Köpfen haben. Vor-Bilder. Oma mit Brille auf der Nase, den Kindlein mit halbblinden Augen vorlesend, in Kittelschürze über dem wadenlangen grauen Kleid, dabei stramm die Haare zum Dutt gezurrt.

Interessanter Ansatzpunkt, mag stimmen. Es lauern maßgeschneiderte Schubladen in den Gehirnen, in die man je nach numerischem Alter gesteckt wird, sobald dieses bekannt ist. Eleganter gesagt: das numerische Alter ist mit der aktuellen gesellschaftlichen Realität nicht im Einklang.

Das Dumme ist, dass wir ja nicht nur die Anderen taxieren, sondern auch uns. Besonders uns.

Wir verstecken uns zwar nicht in den Altersschubladen, wir stecken uns aber gnadenlos hinein und beschweren uns, dass andere es tun. Den lockeren, an manchen Tagen von mir gern auf den geschürzten Lippen geführten Spruch "Heut seh ich aus wie 120" darf zwar ich sagen, einschlägige Äußerungen von Anderen hörte ich nicht besonders gern. Ich sollte ihn nicht mehr verwenden, außer mir findet ihn sowieso niemand mehr witzig (seitdem ich oft wirklich so aussehe).

Aus diesem Minenfeld begebe ich mich lieber wieder zu Elisabeth Niejahr und einem weiteren ihrer Gedanken, der ebenfalls im Buch "Elisabeth Niejahr: Alt sind nur die anderen: So werden wir leben, lieben und arbeiten: Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag, 2004" nachzulesen ist.

Sie postuliert, dass das Thema Demografischer Wandel lediglich als Sozialversicherungsdebatte geführt wird und alle anderen (durchaus gravierenden) von ihm provozierten Auswirkungen unbeachtet bleiben.

Das spiegelt sich meines Erachtens auch in den Äußerungen teils sehr junger Menschen wider. Vor allem in ihren Ängsten. Sowohl bei meiner Arbeit und in meinem Lebensumfeld, als auch in den Sozialen Netzwerken fällt mir das permanent auf. Die Angst vor Altersarmut ist groß. Die Angst davor, bis zum unseligen Ende arbeiten zu müssen. Die Angst vor nicht leistbarer medizinischer Versorgung. Und, und, und.

Verständlich. Aber was tun wir uns da an? Wir versauen uns das Leben.

Ich rede keinesfalls der naiven Unbekümmertheit das Wort. Selbstverständlich ist es sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, wie denn die Existenz abgesichert sein wird und - wenn möglich - auch vorbeugende Schritte zu setzen. Selbstverständlich muss noch vieles politisch diskutiert und realisiert werden, damit die Massenaltersarmut nicht Platz greift.

Nur stelle ich mir mit Grauen die Verzweiflung vor, die sich angesichts der Erkenntnis breit macht, dass man 40 Jahre in Angst und Schrecken vor dem Alter dahinvegetierend vergeudet hat. Womit auch eine Chance, die mich zunehmend erfreut, vertan wird.

Die Mär von der Altersweisheit habe ich nie geglaubt und werde sie auch nie glauben. Aber ich spüre, dass mit zunehmendem Alter eine neue Dimension von Freiheit entstehen kann. Eine innere Freiheit, die ein Stück Unabhängigkeit gibt. Ich nenne sie die Altersfreiheit.
Weniger rätseln müssen, wer man eigentlich ist - dafür ein Stück mehr sehen können, wie man eigentlich sein möchte.

Sich nicht mehr mit Überlegungen aufhalten, wie man gesehen wird - dafür mehr Intensität dafür verwenden, um zu spüren, wie man sein könnte.

Nicht mehr von allen geliebt werden müssen, sondern spüren, dass es Menschen gibt, von denen man in all der chaotischen Unvollkommenheit geliebt wird.
Ja. Das ist die Freiheit, die ich meine. Die Freiheit, die unbändig glücklich macht. Und die gefährdet ist, wenn wir uns, in Schubladen versauernd, von Angstparolen verunsichern lassen. Mit Angsparolen verunsichern.

Ich habe Menschen getroffen, bei denen ich diese Freiheit gespürt habe, obwohl sie jenseits jeder zumutbaren Existenzsicherung gelebt haben. An sie denke ich mit Liebe und Dank. Sie waren WegweiserInnen.
Ich bin nicht zu jung für mein Alter.
Ich bin nicht zu alt für mein Alter.
Mir ist es vollkommen egal, was "man" in meinem Alter tun und lassen soll. Ich lebe mein Alter.
Ich fühle mich wohl mit meinem Alter.
Immer öfter.

5 Kommentare:

  1. "Altersfreiheit" - schöne Bezeichnung.
    (allmählich würde ich gerne Sätze plussen können, so weit hat G+ mich schon gebracht:)

    Ich versuche, nicht zu viel in dieser Richtung zu denken, denn gar nicht daran denken geht nicht. Ich habe das numerische Alter, das ich habe. So einfach, so schwierig und ich verstecke es nicht. Zwischen Frauen und Männern besteht wohl in dieser Frage auch noch ein Unterschied, aber viele Männer möchten inzwischen auch jünger wirken als sie numerisch sind. Und je mehr ich über Deinen Text sinniere, merke ich, wie schwierig es ist, den Bezugspunkt zu bestimmen (einer ist der optische Gegenwartseindruck; mir fallen immer mehr Gleichaltrige mit Kindern auf, die wie diese gekleidet sind). Was ist altersadäquate Kleidung?
    Ich habe eher meine Großeltern vor Augen, denn meine Mutter war doch schon sehr modern und sie war und ist immer sehr stolz darauf, wenn sie erheblich jünger eingeschätzt worden ist als numerisch (Sie schon auf Rente? Nein etc,).

    Altersweisheit - ja, was versteht man darunter? Erfahrung, aber auch andere Bezugswelt und doch gibt es Zeitloses, denken ich, das sich etwas im Alter zu erkennen gibt (Generationenkonfikt; Lebensphasen; verpaßte Träume/Möglichkeiten etc.).

    Mußte ehrlich gesagt bei Deinem ersten Satz erstmal in die Googlesuchs. Zores ist wohl Österreichisch für Streit? wegen Wortspiel
    Und da stoße ich auf "ab ovo", das mir auch gefällt.

    Das Gegenteil von in medias res ist ein Einstieg ab ovo (vom Ei an), bei dem einführende Schilderungen den Beginn ausmachen.
    Früher neigte ich zu ab ovo; manchmal immer noch? Muß mal eine Statistik anlegen.
    "Sind Sie in medias res oder ab ovo"? Jung oder alt;)

    Und dann gibt es ja auch noch den Spruch, "man ist so alt, wie man sich fühlt", der mir aber in zunehmenden Maße mißfällt. Ich fühle gar kein Alter, deshalb mußte ich in den letzten Jahren auch schon öfter nachrechnen, wie alt ich bin. Da ein runder Geburtstag ansteht, habe ich es z.Zt. parat.

    Abschließend, meine Mutter lebt in gewisser Altersarmut, zumindest ohne große Sprünge machen zu können. Und das vor Augen, habe ich manchmal Angst vor dem Rentnerdasein. Vorsorge muß sein, so weit es geht.

    mit altersfreien Grüßen im zeitlosen Fühlen

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  2. Lieber Altersfreier,

    zur Begriffsklärung eine kurze Klugscheisserei: Zores kommt aus dem Jiddischen und ich verwende es hier im Sinn von "Probleme, Schwierigkeiten". Da ich in meiner Sprache relativ viele jiddische Wörter verwende, leg ich wieder einmal einen Übersetzungslink bei: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_deutscher_W%C3%B6rter_aus_dem_Hebr%C3%A4ischen

    Deine Bemerkung, dass Du Sätze plussen willst, erheitert mich ungemein. Geht mir genau so, vor allem auch bei E-Mails.

    Zur Altersweisheit: ich glaube schon, dass man als älterer bis alter Mensch zu Erkenntnissen kommen kann, die man nicht haben kann, wenn man jung ist. Aber ich weiß schlicht und einfach, dass das nicht automatisch geht. Das bekommt man nicht als Zubrot zu den Jahren, dafür muss man hart arbeiten. Ist ein eigenes Thema, glaub ich.

    Ich grüße Dich (derzeit?) alterszufrieden zurück.

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  3. Fällt mir noch ein Gedicht ein, das ich rausgesucht habe von Peter Rühmkorf (ich habe ein Faible für Gedichte).

    Ich hatte zu Zores übrigens diesen Link gefunden (und vergessen einzufügen), hatte aber nicht bis zum jiddischen Ursprung gelesen:
    https://de.wiktionary.org/wiki/Zores


    Paßt auch gut zur G+-Kommunikation, wo ja häufig sehr unterschiedliche Jahrgänge zu Diskussionen zusammenkommen; und leicht auf unterschiedliche Welten zu übertragen in denen man sein soziales Leben verbrachte.
    (Es heißt wie die erste Zeile)


    Manchmal hörst Du mich große Namen nennen,
    Dir unbekannte, doch die Antwort macht mich schwach:
    "Ich kann nicht beides,
    jung sein und das kennen"
    und gern sieht man der Unschuld
    ihre Blöße nach.
    (aus: Paradiesvogelschiß)

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  4. interessanter Link mit den Wörtern aus dem Hebräischen
    "Tinnef" benutzt meine Mutter immer

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  5. Wirklich blöd, dass man Kommentare nicht plussen kann. Fühle Dich bitte geplusst.

    Mir tut es immer leid, wieviele Wörter, Redewendungen und Metapher verloren gehen. Deshalb bin ich eine eifrige Wortpflegerin und -hegerin.

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Über konstruktive Kommentare, Fragen und Anregungen freue ich mich!