Frau ist am Gedankenwerk. Die Möglichkeit dazu ist wohl das
Wichtigste, das ein Ausstieg aus dem Alltag bietet. Urlaub als
Selbsterfahrungsseminar? Nein, so arg ist es nicht. Aber ein bissl stimmt es
wohl. Die Gedanken haben Raum, sich auszubreiten und vor allem Ruhe, um in die
Tiefe zu sickern.
Schon seit Tagen geht mir das Wort Sorgsamkeit durch den
Sinn. Ich habe es von allen Seiten betrachtet und festgestellt, dass nicht nur
sprachliche Nähe zum Wort Sorge besteht. Wo ist die Grenze zwischen dem
Umsorgen einer Person und dem Punkt, an dem man sich Sorgen macht? Sorgen, die
vielleicht unbegründet sind. Sorgen, die mehr mit mir als mit dem oder der Anderen zu tun haben? Sorgen, die von mir und dem, womit ich mich wirklich
beschäftigen sollte, ablenken?
Gestern wollte ich eigentlich nur rasch einige Gewürze
besorgen, um dann weiter zum Markt zu fahren. Es kam anders. Es hat sich ein
Gespräch zwischen dem Gewürzhändler und mir entwickelt, das mir viel wichtiger
war als das Weiterhasten.
Er hat seine Arbeit liegen und stehen gelassen und ich habe
blitzschnell überlegt, ob ich die Lebensmittel auch wo anders bekommen könnte,
wenn der Markt schon geschlossen hätte. Und wir haben uns hingesetzt, gemeinsam
Kaffee getrunken, eine Zigarette geraucht und unsere Gedanken, die wir einander
vorerst im Stehen ausgebreitet haben, gemeinsam weitergesponnen.
Der Ausgangspunkt war seine Erzählung über einen Beitrag, der
im flammenden Appell "mit dem Herzen zu sehen" gipfelte (um es mit Antoine de Saint-Exupéry auszudrücken). Achtsamkeit gegenüber allem
und allen, die unseren Weg kreuzen. Wahr zu nehmen, was uns tagtäglich an
Schönem widerfährt.
Viele Menschen können das nicht. Manchen legt
sich Dunkelheit vor das innere Auge, manche haben es nie gelernt und manche
haben es verlernt. Aber jene, die auch nur im Geringsten dazu fähig sind,
sollten - so der Appell - sich berühren lassen. Und damit auch andere berühren.
Unser Gespräch floss von dem, was uns an oft winzigen Augen-Blicken
ergreift zur katastrophalen Situation vieler Menschen in Griechenland, von der
emotionalen Präsenz geliebter Verstorbener zur "Ansteckung" durch innige
Menschen.
Wir teilten Denken und Fühlen miteinander und
dabei war es immer spürbar, dass Sorgsamkeit die Folge dieses Achtsamseins ist.
Wenn ich etwas (für) wahr nehme, dann geschieht etwas mit mir und ich kann
nicht tun, als ob nichts wäre. Mein Handeln, mein Behandeln ändert sich.
Manchmal verloren wir den Faden, einmal
lachte er dabei laut und stellte grinsend fest: "Oh, don't bother. It's only my
Emmentaler disease..."
Als Kunden das Geschäft betraten,
verabschiedete ich mich und ging durch dieses Gespräch reich beschenkt davon.
Seither gehen mir (sogar für mich)
ungewöhnlich viele Gedanken im Kopf herum und ich bemerke, wie wichtig es mir
ist, nichts als selbstverständlich hinzunehmen. Weder die winzigste Blume, an
der ich vorbeigehe, noch die Schrift, die jemand im Sand hinterlassen hat, und
schon gar nicht die Menschen, die mich umgeben.
Möglicher Weise wurzelt es in meiner Frauensozialisation,
dass ich selbstverständlich die Bedürfnisse der Anderen wahr nehme und nach
Möglichkeit zu deren Befriedigung beitrage. Nur kennt meine Erziehung zur Frau und
somit meine Hingabefreude Grenzen. Denn ich gehe naiver Weise davon aus, dass
es auch den Anderen Freude macht, mir Freude zu bereiten und mich zumindest ein
bissl zu umsorgen.
Sorgsamkeit hat also für mich nichts mit
Selbstaufgabe zu tun, sondern mit Hinwendung zum Anderen. Sie bedingt die
Aufgabe des Hauruck-Egoismus; das Wahrnehmen der Verantwortung für sich selbst
und die Erweiterung des Blicks auf den Anderen und/oder das Andere.
Heute früh, als ich die restlichen
geschenkten Orangen mit Akribie dünn geschält habe, waren sie wieder intensiv da, diese
Gedanken an die Sorgsamkeit.
Nicht nur, weil sie ein Geschenk eines lieben
Menschen waren, sind diese Früchte meiner Achtsamkeit wert. Indem ich sorgfältig
zuerst die ölhältige äußere Schale und dann die bittere weiße Schicht abtrage,
verstehe ich mehr. Beim Niederschreiben wird mir bewusst, wie eigenartig und
abgehoben das klingt. Sei's drum... Ich empfinde es als Privileg, in
Beschaulichkeit mich der meditativen Tätigkeit der Essenszubereitung hinzugeben
und mich dabei dem "Wesen der Orange" anzunähern. Und das ist auf alle Lebensbereiche anzuwenden.
Sorgsamkeit beschenkt in erster Linie uns
selbst.
Wir sollten uns gut damit versorgen.
Ich bin kein Dichter deshalb hab ich mit meinen Worten Probleme...
AntwortenLöschenIch würde nicht Sorgsamkeit sagen sondern Langsamkeit, Muse...
Ich war vorhin im wald .... Alles rast auf Fahrrädern, Rollerblades, oder zu Fuß Leistungsbezogen durch die Gegend...... So kann man die Welt rundherum nicht mehr sehen, wahrnehmen... Den Menschen ist die Langsamkeit verloren gegangen .....
There's a time for everything?
LöschenMir ist es in diesem Fall um die Achtsamkeit, und darüber hinaus um das Sorgen für jemanden oder etwas gegangen...
Vielleicht wird es mit diesem Link klarer: http://de.wikipedia.org/wiki/Sorge#Sorge_in_der_Philosophie
Aber jetzt muss ich mich um mich sorgen, werde anscheinend krank.
Danke fürs Kommentieren, Morgan Brimont.