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Sonntag, 2. März 2014

ÜBER DIE SORGSAMKEIT


Frau ist am Gedankenwerk. Die Möglichkeit dazu ist wohl das Wichtigste, das ein Ausstieg aus dem Alltag bietet. Urlaub als Selbsterfahrungsseminar? Nein, so arg ist es nicht. Aber ein bissl stimmt es wohl. Die Gedanken haben Raum, sich auszubreiten und vor allem Ruhe, um in die Tiefe zu sickern.


Schon seit Tagen geht mir das Wort Sorgsamkeit durch den Sinn. Ich habe es von allen Seiten betrachtet und festgestellt, dass nicht nur sprachliche Nähe zum Wort Sorge besteht. Wo ist die Grenze zwischen dem Umsorgen einer Person und dem Punkt, an dem man sich Sorgen macht? Sorgen, die vielleicht unbegründet sind. Sorgen, die mehr mit mir als mit dem oder der Anderen zu tun haben? Sorgen, die von mir und dem, womit ich mich wirklich beschäftigen sollte, ablenken?


Gestern wollte ich eigentlich nur rasch einige Gewürze besorgen, um dann weiter zum Markt zu fahren. Es kam anders. Es hat sich ein Gespräch zwischen dem Gewürzhändler und mir entwickelt, das mir viel wichtiger war als das Weiterhasten.


Er hat seine Arbeit liegen und stehen gelassen und ich habe blitzschnell überlegt, ob ich die Lebensmittel auch wo anders bekommen könnte, wenn der Markt schon geschlossen hätte. Und wir haben uns hingesetzt, gemeinsam Kaffee getrunken, eine Zigarette geraucht und unsere Gedanken, die wir einander vorerst im Stehen ausgebreitet haben, gemeinsam weitergesponnen.


Der Ausgangspunkt war seine Erzählung über einen Beitrag, der im flammenden Appell "mit dem Herzen zu sehen" gipfelte (um es mit Antoine de Saint-Exupéry auszudrücken). Achtsamkeit gegenüber allem und allen, die unseren Weg kreuzen. Wahr zu nehmen, was uns tagtäglich an Schönem widerfährt.


Viele Menschen können das nicht. Manchen legt sich Dunkelheit vor das innere Auge, manche haben es nie gelernt und manche haben es verlernt. Aber jene, die auch nur im Geringsten dazu fähig sind, sollten - so der Appell - sich berühren lassen. Und damit auch andere berühren.


Unser Gespräch floss von dem,  was uns an oft winzigen Augen-Blicken ergreift zur katastrophalen Situation vieler Menschen in Griechenland, von der emotionalen Präsenz geliebter Verstorbener zur "Ansteckung" durch innige Menschen.


Wir teilten Denken und Fühlen miteinander und dabei war es immer spürbar, dass Sorgsamkeit die Folge dieses Achtsamseins ist. Wenn ich etwas (für) wahr nehme, dann geschieht etwas mit mir und ich kann nicht tun, als ob nichts wäre. Mein Handeln, mein Behandeln ändert sich.


Manchmal verloren wir den Faden, einmal lachte er dabei laut und stellte grinsend fest: "Oh, don't bother. It's only my Emmentaler disease..."


Als Kunden das Geschäft betraten, verabschiedete ich mich und ging durch dieses Gespräch reich beschenkt davon.

Seither gehen mir (sogar für mich) ungewöhnlich viele Gedanken im Kopf herum und ich bemerke, wie wichtig es mir ist, nichts als selbstverständlich hinzunehmen. Weder die winzigste Blume, an der ich vorbeigehe, noch die Schrift, die jemand im Sand hinterlassen hat, und schon gar nicht die Menschen, die mich umgeben.


Möglicher Weise wurzelt es in meiner Frauensozialisation, dass ich selbstverständlich die Bedürfnisse der Anderen wahr nehme und nach Möglichkeit zu deren Befriedigung beitrage. Nur kennt meine Erziehung zur Frau und somit meine Hingabefreude Grenzen. Denn ich gehe naiver Weise davon aus, dass es auch den Anderen Freude macht, mir Freude zu bereiten und mich zumindest ein bissl zu umsorgen.


Sorgsamkeit hat also für mich nichts mit Selbstaufgabe zu tun, sondern mit Hinwendung zum Anderen. Sie bedingt die Aufgabe des Hauruck-Egoismus; das Wahrnehmen der Verantwortung für sich selbst und die Erweiterung des Blicks auf den Anderen und/oder das Andere.


Heute früh, als ich die restlichen geschenkten Orangen mit Akribie dünn geschält habe, waren sie wieder intensiv da, diese Gedanken an die Sorgsamkeit. 


Nicht nur, weil sie ein Geschenk eines lieben Menschen waren, sind diese Früchte meiner Achtsamkeit wert. Indem ich sorgfältig zuerst die ölhältige äußere Schale und dann die bittere weiße Schicht abtrage, verstehe ich mehr. Beim Niederschreiben wird mir bewusst, wie eigenartig und abgehoben das klingt. Sei's drum... Ich empfinde es als Privileg, in Beschaulichkeit mich der meditativen Tätigkeit der Essenszubereitung hinzugeben und mich dabei dem "Wesen der Orange" anzunähern. Und das ist auf alle Lebensbereiche anzuwenden.


Sorgsamkeit beschenkt in erster Linie uns selbst.


Wir sollten uns gut damit versorgen.

2 Kommentare:

  1. Ich bin kein Dichter deshalb hab ich mit meinen Worten Probleme...
    Ich würde nicht Sorgsamkeit sagen sondern Langsamkeit, Muse...
    Ich war vorhin im wald .... Alles rast auf Fahrrädern, Rollerblades, oder zu Fuß Leistungsbezogen durch die Gegend...... So kann man die Welt rundherum nicht mehr sehen, wahrnehmen... Den Menschen ist die Langsamkeit verloren gegangen .....

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    1. There's a time for everything?
      Mir ist es in diesem Fall um die Achtsamkeit, und darüber hinaus um das Sorgen für jemanden oder etwas gegangen...
      Vielleicht wird es mit diesem Link klarer: http://de.wikipedia.org/wiki/Sorge#Sorge_in_der_Philosophie
      Aber jetzt muss ich mich um mich sorgen, werde anscheinend krank.
      Danke fürs Kommentieren, Morgan Brimont.

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