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Dienstag, 8. Mai 2012

GE.DENKEN IN MAUTHAUSEN

Ein strahlendes Maiwochenende liegt hinter der Frau am BilderWerk, mit Ausflügen durch das Untere Mühlviertel. Das ist eine Region in Oberösterreich, wobei ich mich nahe bzw an der Donau herumgetrieben habe. Dort liegt auch das ehemalige KZ Mauthausen, das nun die KZ-Gedenkstätte beherbergt.


Als erstes habe ich ein Problem: der Hund ist mit mir und da es am Parkplatz keinen einzigen Baum gibt, kann ich ihn eigentlich nur kurz im Auto lassen. Bei diesen Gedanken komme ich mir so pervers vor. Vor dem KZ denke ich an das Wohlergehen meines Hundes. Es ist mir schon klar, dass auch dieser Gedanke eigenartig ist. Trotzdem. Mir wird die Perversion des Lebens schmerzhaft bewußt.


Ich beschließe, nur außen rundherum zu gehen. Menschengruppen kommen mir entgegen, als erstes eine Gruppe von Italienern. Wie üblich habe ich eine musikalische Assoziation und fange ohne es zu merken an, Avanti Popolo zu singen. Von hinten kommt ein alter Mann, ebenfalls von der italienischen Gruppe, freut sich über meine Singerei und lässt einen Wortschwall auf mich nieder. Hoffentlich hat ihm das kurze miteinander Sprechen ebenso gut getan wie mir. Ich merke, dass ich dem Grauen, das dieses Lager ausstrahlt, nur durch Berührungen von Menschen heil entkommen kann. Ich, die nur als "Interessierte" und "Besucherin" hier bin und hier keine persönliche Geschichte habe, wie offensichtlich der alte Italiener. 


Vor dem Informationszentrum treffe ich eine Jugendgruppe, die eifrigst mit ihren Mobiles beschäftig ist. "Gib ein: Deine Mutter stinkt" höre ich. Schallendes Gelächter, Ergebnisse zu "Deine Mutter stinkt". 


Susan Sontag und ihr Buch "On Photography" kommt mir in den Sinn.
"Die Voraussetzung für eine moralische Beeinflussung durch Fotos ist die Existenz eines relevanten politischen Bewußtseins. Ohne die politische Dimension wird man Aufnahmen von der Schlachtbank der Geschichte höchstwahrschenilihc nur als unwirklich oder als persönlichen Schock empfinden." Susan Sontag (1980): Über Fotografie. S. 24. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/Main"

Auch wenn es sich nicht "nur" um Bilder handelt, was nehmen diese Kinder mit? Wie können sie das Gesehene und Gehörte verarbeiten? Welchen Zugang haben sie? Ist es überhaupt sinnvoll, Jugendgruppen und Schulklassen durch Konzentrationslager zu schleusen?

Mit Schauder denke ich an meinen Besuch der Wehrmachtsausstellung, durch die ich nur rasen konnte. 
Konnte die Bilder nicht aushalten, die nur einen Augenblick des Schreckens einfroren und diesen "fassbar" machten. Er ist aber unfassbar.

Konnte die Rechtfertigungsorgien und Verharmlosungen, die in dunklen Missklangswolken um mich brandeten nicht mehr hören.

Konnte nicht ertragen, dass ein Mann die Körper auf einem Leichenberg zählte und ganz stolz war, dass er sie zumindest schätzen konnte.
Erst als ich mit einigen jungen StudienkollegInnen gesprochen hatte, habe ich den Sinn der Ausstellung zumindest in einem Aspekt positiv bewerten können: Das Rahmenprogramm, bei dem junge Studierende geführt und mit Männern ins Gespräch kamen, die erstmals - wie sie erzählten - über ihre eigene traumatisierende Kriegsgeschichte reden konnten.


Das unbeabsichtigt und eigentlich gegen meinen Willen Gehörte, das die Kids hier in Mauthausen von sich geben, lässt mich wieder am Sinn von Massenauftrieb in Gedenkstätten zweifeln.

Als ich einige Bücher und Broschüren bei der Kassa zahle, spreche ich den sehr offenen und liebenswürdigen Mann an der Kassa darauf an. Er sagt mir das, was ich ja eigentlich weiß, aber das jetzt nicht präsent ist.

Menschen verarbeiten so unterschiedlich. Es ist an ihrer Reaktion vor Ort nicht abzulesen, was sie erreicht hat. Und wenn auch nur einige wenige das Erlebte erfassen könnten, meint er, dann ist bereits ein Ziel erreicht.

Vor allem spricht er darüber, dass es darum geht, den jungen Leuten nahe zu vermitteln "dass wir nicht so zivilisiert sind, wie wir immer glauben".


Ein Stück weiter sehe ich eine Jugendgruppe und höre, wie der "Guide" (mag das Wort Führer gerade in diesem Zusammenhang nicht) die Frage aufwirft, wer denn jetzt schuld sei. Sehe, wie sie angestrengt nachdenken. Und denke, dass sie eine wichtige Erfahrung machen.


Wiedereinmal bin ich froh, photographieren zu können. Das beruhigt mich, gibt mir Boden unter den Füßen. Hilft mir, den Gegensatz zwischen den Horror verbreitenden Mauern und der überschäumenden Natur zu fassen, denn auch er ist unfassbar.











 
Aus dem dem inzwischen glutheißen Auto rette ich den Hund, drehe mit ihm eine Runde um den Parkplatz und steige am einige Schritte auf einen Naturwall hinauf, von wo aus sich eine Sicht über das Donautal ausbreitet. 
Der Hochstand in Sichtweite bringt mir die „Mühlviertler Hasenjagd“ ins Gedächtnis.
Mir fällt die vorhin der Jugendgruppe gestellte Schuldfrage ein, die gesellschaftlich immer wieder aufgeworfene Frage nach der Kollektivschuld.
Die Beschimpfung einer türkischen Frau, die ich kurz zuvor im Mauthausen gehört habe.
Der Wunsch, der von BewohnerInnen verschiedener Städte, in deren Nähe sich Lager der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten befanden, endlich „in einer ganz normalen Stadt“ leben zu können.
 
Zum Nachdenken und -fühlen und wegen des Tieres beschließe ich, einen Waldspaziergang zu machen. Bei der ersten Abzweigung sehe ich ein Schild, das auf einen Wanderweg hinweist, und biege ab. Der Weg führt direkt zum Steinbruch. Zum "Wiener Graben".


 









Erst am Tag nach meinem Besuch realisiere ich, dass ich am Jahrestag der Befreiung der überlebenden Lagerinsassen durch die US-amerikanischen Truppen in Mauthausen war. 67 Jahre ist das nun her. 

Die Lebenskraft der Natur ist so unbändig. Auch und gerade hier, wo der Tod so nah ist.


Friling. Mir geht dieses Lied nicht aus dem Sinn…

LINKS zu Mauthausen und dem Nebenlager Gusen

1 Kommentar:

  1. Eine wunderbare Komposition, mag ich sehr Innen-Erleben und Fotos kombiniert.
    Habe leider wenig Zeit (Du weißt: UST), deshalb Steno.
    Wehrmachtsausstellung habe ich mir geschenkt, weiß nicht mehr genau warum.
    Jugendliche so in dieser Gedenkstätte sprechen zu hören, tut weh. Ich kenne diese und schlimmere Sprüche aus den Schwimmbadumkleiden.

    Wir waren mal in der Gedenkstätte Sachsenhausen nördlich von Berlin, als eine Gedenkveranstaltung von Hinterbliebenen/Überlebenden im kleinen Kreis stattfand. Sie sangen Klagelieder vor der rekonstruierten Baracke und ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Ich glaube, wir mußten weinen.

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