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Donnerstag, 5. Januar 2012

ZORNIGE FRAUEN

Frau am Werk meldet sich pflichtschuldigst und fast schon zerknirscht zurück am Gerät. Jahresanfang ist halt auch die Zeit des Klärens - sowohl im jiddischen (klären = nachdenken, sinnieren), als auch im Idealfall im landläufigen Sinn. Ich habe geklärt und dadurch geklärt.


Bin heute lang mit der Frage schwanger gegangen, in welche Richtung ich diesen Blog entwickeln will. Weiter Kraut und Rüben? Sprich: Sinnfragen neben Rezepten, Photographie neben Garteneintragungen.
Dann erledigte sich die Frage vorerst, denn ich bin im Lauf des Tages auf einen spannenden Blogeintrag von Antje Radcke gestoßen, in dem sie sich wunderbar über die Verunglimpfung von Nachhaltigem Konsum aufregt, und ein Satz hat sich bis in die Morgenstunden nicht von mir gelöst:
 
"Wenn ich will, dass sich etwas verändert, dann fange ich zuerst bei mir selbst an. Nur so kann ich auch andere für die Idee begeistern."

Warum mir dieser Satz nicht aus dem Sinn geht? Er ist einer meiner Glaubenssätze, ist ein Teil meiner Identität, meines Lebens. Und ich interpretiere ihn immer wieder neu für mich.

Vor Jahren habe ich im damaligen Österreichischen Informationsdienst für Entwicklungspolitik (ÖIE, jetzt Südwind) gearbeitet und die Eröffnungsrede der von uns organisierten Entwicklungspolitischen Hochschulwochen hielt Jean Ziegler. Er war einer jener Menschen, die mich in ihrer Glaubwürdigkeit gepackt haben.

Er erzählte die auch auf Wikipedia wiedergegebene Geschichte, dass ihm Che Guevara, dem er nach Kuba folgen wollte, ablehnend erwidert hätte, dass nicht auf Kuba, sondern in der Schweiz sein Platz sei, wo er für Veränderungen kämpfen müsse.

Ob diese Geschichte wahr ist oder nicht, ist vollkommen irrelevant. Das Wesentliche ist für mich der Kern der Aussage, auf die kleinste Einheit - mich selbst - heruntergebrochen. Es ist der nächste Schritt, der auf das Zitat von Antje Radcke folgt.

 Veränderungen müssen in mir passieren, müssen stimmig sein. Dann bin ich wirksam für die Menschen um mich herum und kann überzeugen und begeistern. Im Hier und Jetzt.



Ich habe das Glück, nicht nur überragenden Menschen begegnet zu sein, die wirklich Großes bewegt haben, sondern vor allem überragende Menschen in meinem unmittelbaren Lebensumfeld zu erleben, die kontinuierlich wirken.

Jetzt habe ich aber gerade zwei Situationen vor Augen, die mich tief berührt haben. Beide betreffen den Bereich Rassismus. Jene Tendenz, die mir die Luft zum Atmen nimmt.

Vor Jahren war ich in den Sozialausschuss geladen worden, um eine Expertinnenmeinung zum Thema Wohnungsvergabe an "AusländerInnen" abzugeben. Die Stimmung in den Parteien war absehbar, vor den erwarteten xenophoben bis rassistischen Meldungen stärkte ich mich in einem Café, das direkt am Wochenmarkt gelegen ist. Da es ein kalter Tag war, saßen einige der Standler (Standbetreiber) zusammen und diskutierten heftig just das Thema "Ausländer". Kronen- und Bildzeitung in O-Ton, mit kernigen Männerstimmen. Eine Runde Stimmung. 

Aber plötzlich stand einer jener Männer auf, die bisher geschwiegen hatten, und sagte mit fester, klarer Stimme: "Wenn ihr weiter so redet, gehe ich lieber. Ich bin Christ und höre nicht zu, wenn Menschen so abgewertet werden." Plötzlich schwenkte die Stimmung um. Die Mitläufer stellten ihr Nicken nach Rechts ein und strahlten in die neue Richtung. Die drei, die bisher den Mund aufgerissen hatten, waren isoliert, hielten sich in redundantem Gemurmle gegenseitig aufrecht und verließen dann rasch ihr verbales Schlachtfeld.



Ein anderes Mal fuhr ich im Bus, als eine kopfbetuchte Muslimin mit Kind von einem Mann zum sichtlichen Wohlgefallen der Umsitzenden beschimpft wurde. Meiner eigenen Psychohygiene zuliebe rauschte ich auf den Mann zu und fragte ihn autoritär nach seinem Namen und seiner Adresse. Witzigerweise offenbarte er mir tatsächlich spontan beides, bevor er nach dem Zweck fragte. Hatte ihn richtig als Kuscher eingeschätzt. 

Da ich zwar in Paragraphen nicht firm war, aber meine Wut meine Kreativität geweckt hatte, schmetterte ich ihm entgegen: "Weil ich Sie nach § 346a Strafgesetzbuch anzeigen werde." Eine eingehende Erläuterung des nicht existierenden Paragraphen folgte. Der Mann war vollkommen baff und kleinlaut, es war mir ein Vergnügen. Noch mehr Vergnügen bereitete mir ein junger Mann, der sich durch die Schauer drängte, mir einen (wie sich später herausstellte leeren) Zettel überreichte und sagte: "Hier sind meine Daten, ich bin Zeuge und es ist nicht mein erster Prozess bezüglich des § 346a." Bei der nächsten Haltestelle stiegen wir beide aus, schauten uns an und waren sicher, dass zumindest eine Nachtruhe etwas gestört sein würde.


Die Welt hat sich durch diese beiden Begebenheiten nicht grundsätzlich verändert. Aber die Situation für einige Menschen. Denn sie haben erlebt, dass es sich auszahlt, den Mund aufzumachen und Rassisten Einhalt zu gebieten. Sie haben erlebt, dass es befreiend ist, allein oder gemeinsam aufzustehen und auf den Tisch zu schlagen. Sie haben vielleicht auch erkannt, dass es eine Schande ist, in einem Land zu schweigen, in dem man dafür keine Repression befürchten muss.

Ich wünsche mir noch viel mehr Zornige, noch viel mehr Menschen, die auch den § 346a kennen. Noch viel mehr Menschen, die mit ihrem Mut, ihrer Lebensfreude und ihrem Glauben an die Kraft der Veränderung anstecken.

"Wenn ich will, dass sich etwas verändert, dann fange ich zuerst bei mir selbst an. Nur so kann ich auch andere für die Idee begeistern."
Danke, Antje Radcke. Für den Beitrag, ganz speziell den Satz - und fürs Aufregen. Bleiben wir aufregend aufgeregte Frauen!

2 Kommentare:

  1. JA! Genau das ist es! Und so lange ich lebe, werde ich - hoffentlich immer - für meine Überzeugungen aufstehen. Nicht schweigen, nicht wegschauen, nicht überhören. Ich hoffe, dass ich niemals in eine Situation komme, in der es für mich gefährlich wäre, für meine Überzeugung einzustehen und bei anderen dafür zu werben.
    Ich bewundere die Kämpfer/innen für Freiheit und Gerechtigkeit, die dabei ihr Leben aufs Spiel setzen. Ich wünsche mir die Stärke und Größe, das - sollte es jemals nötig werden - auch tun zu können.
    Aber gerade weil ich den kostbaren Schatz "Freiheit" besitze, ist es umso wichtiger, diesen zu nutzen. Veränderung geht immer von Einzelnen aus - eine Bewegung daraus zu machen kann nur gelingen, wenn die Einzelnen zutiefst überzeugt sind von dem, was sie tun.
    Das heißt nicht, dass wir nicht auch suchen, zweifeln oder unsicher sein dürfen - im Gegenteil. Wer sich seiner/ihrer Sache zu sicher ist, läuft Gefahr, andere zur Gefolgschaft statt zur ansteckenden Bewegung zu motivieren.
    In diesem Sinne bedanke ich mich - bei wem auch immer - dafür, dass sich unsere digitalen Wege gekreuzt haben und wir diesen Moment nicht achtlos haben vorübergehen lassen.
    Auf einen weiteren angeregten und aufgeregten Austausch mit dir! Ich freue mich darauf.

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  2. Liebe Antje und wer auch immer: Ja. Freue mich auch. Danke.

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