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Montag, 26. Dezember 2011

KASSANDRA RELOADED

Erstaunlich, dass sich bei mir immer wieder das Gefühl einschleicht, mein Weg könnte jemals eindeutig und klar sein.

 

Bin ja eine Selbstreflexionsmaschine mit ausgeklügeltem Mechanismus, ausgefeilten Alarmanlagen und zusätzlicher App für sezierende Tiefenschau. Welch Goodie!

 

Und dann entdecke ich plötzlich, dass das Programm ohne Vorwarnung auf Standby gegangen sein muss. Unbemerkt, still und leise. 
Hallo? 
Service bitte!
Nein: Reset! 
Und vor allem Report und Fehleranalyse.



Oh ja, jetzt endlich seh ich den Trojaner, dessen Implementierung ich ganz traditionsbewußt und der Odyssee verpflichtet begrüßt und bejubelt habe.



Kein Laokoon, keine Kassandra standen mir zur Seite, deren Warnung ich in den Wind schlagen hätte können. Oder? Naja. Das eine oder andere Lüftchen zum Hineinschlagen habe ich schon wahrgenommen, aber nicht wahr genommen. Geht halt so viel Wind hier bei mir.



Dabei hat Christa Wolf Kassandra in mich eingeschrieben. Kein Buch, das ich so oft, in so wichtigen Lebenssituationen gelesen hätte. Was habe ich nicht alles unterstrichen, hervorgehoben. Wahllos zur Hand genommene Zettel quellen aus dem Buch, Lesezeichen, die Denkzeichen sind. Fühlzeichen.



Oft gelesen, immer wieder mit Datum kommentiert. Mehrmals unterstrichen, mit fettem Schwung:

"Ich freilich hab allmählich meine Waffen abgelegt, das wars, was an Veränderung mir möglich war."1



Schluck. Das hat anscheinend früher schon auf mein Leben gepasst, habe es wichtig genommen - und rasch wieder vergessen. Wieder und immer wieder ein Spiel wider besseres Wissen gespielt. Sollte mir das Danaergeschenk wieder anschauen. Au!


Jetzt aber rasch das Antivirenprogramm über meine interne Festplatte laufen lassen - und mich mit Kassandra zurückziehen. Sie hat mir noch viel zu sagen.
Ich sollte besser zuhören.


1 Christa Wolf, 1983: Kassandra. Erzählung. Luchterhand, Darmstadt. S. 7

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