Dienstag, 8. März 2016

BETRACHTUNG DER WEIBLICHEN TUGENDEN

Frau ist, das sonntagmorgendliche Schlechtwetter nutzend, am Gedankenwälzwerk. Mit trägem Hirn, das noch nicht wirklich erwacht ist. Für dieses Werk ein sogar willkommener Umstand, denn dann funktioniert die Zensur langsamer und der eine oder andere Gedanke, der sonst schon bei seinen zaghaften Entstehungsversuchen gnadenlos gestrichen würde, hat Chancen auf ein fruchtbares Leben in meiner Gedankenwelt.


Deshalb fische ich mir jetzt von den dort herumschwimmenden Einwohnern einen zur näheren Betrachtung heraus. Hui, das war ein ertragreicher Beutezug. In Netz meines Keschers ist ein ganzes Gedankenbündel hängengeblieben, das sich um das Frausein handelt. Naja, um den 8. März, dem Internationalen Frauentag herum kein Wunder. 

Zügig wähle ich aus und retourniere Bilder von Benachteiligungen, Gewalt an und Not von Frauen weltweit. Einen Gedanken aber, der durch häufiges Betrachten und Erwägen besonders groß geworden ist und sich in den Vordergrund drängt, greife ich heraus.


Er hat mit der Frauensozialisation und - man höre und staune - ihren positiven Aspekten zu tun. Lassen Sie mich erzählen und vorerst mein eigenes Frauenwerden vor Ihnen ausbreiten.

In den 50er-Jahren aufgewachsen, war ich eigentlich mitten in die lang währende Blütezeit der Geschlechterrollen hineingeworfen. Ein kurzer Blick auf das damals gültige Familienrecht offenbart, wie klar die Pflichten und Rechte aufgeteilt waren.

Um es hemdsärmelig auszudrücken: der Mann hatte die Hosen an, die Frau hatte dafür zu sorgen, dass diese gewaschen und gebügelt waren. Jeder Mann, der auf sich hielt und auch nur ansatzweise für seine Familie sorgen konnte, hielt sich eine Hausfrau, die so ganz nebenbei die Kinder nach den von ihm vorgegebenen Richtlinien aufwachsen zu lassen hatte. Ich glaube, dass ich mich hier nicht weiter auslassen muss.

Den interessierten Lesenden lege ich diesen Link ans Herz. Besonders Wissensbegierige können sich zB auch hier weiter über die österreichischen Reformen des Familienrechts informieren.


Zurück zu meiner eigenen Geschichte. Ich wuchs bei meiner berufstätigen Mutter und meiner Großmutter auf, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eine höchst erfolgreiche Geschäftsfrau war. Von außen betrachtet war es also eine untypische Familie mit selbständigen, tüchtigen Frauen, die "ihren Mann stellten".

Was aber nicht hieß, dass ich nicht all jene Werte, die man damals für Frauen als essenziell hielt, vermittelt bekam. Besonders hervorgehoben seien Bescheidenheit, Liebenswürdigkeit und soziales Denken und Handeln - fast bis zur Selbstaufgabe.

Fein im Hintergrund bleiben und nicht mit den eigenen Leistungen prahlen hieß die Devise, die mir vorgelebt wurde. Schon als Pubertierende lief ich dagegen Sturm, dass diese beiden Frauen, die so viel geschaffen hatten, das als selbstverständlich und nicht erwähnenswert hielten.

Hier muss ich leider ein Gedicht, mit dem sich weiland eine Volksschulfreundin in meinem Poesiealbum verewigt hat, wiedergeben. Es unterstreicht vortrefflich das oben Geschriebene.

Sei wie das Veilchen im Moose
Bescheiden, sittsam und rein
Und nicht wie die stolze Rose
Die immer bewundert will sein.

Soviel zum verordneten Frauenprogramm "Durch EigenPR zum Erfolg".


Diese fatalen Rollenzuschreibungen enthielten aber noch einiges andere Brisante. Durchsetzungskraft und Kampfgeist waren zum Beispiel nur dann gefragt, wenn es um die Interessen Anderer, vor allem der Familie, ging. Ehrgeiz war verpönt und Aggression ging gar nicht. Gewalt war absolut tabu. Für Frauen. Von Männern hatte man sie zu erdulden. Hatte zu verstehen, zu verzeihen.

Möglicher Weise wundern sie ich immer mehr, dass ich ganz zu Beginn dieser Geschichte von positiven Aspekten der Frauensozialisation spreche. Dass ich, die bösartig über die Werte dieser Zeit schreibt, genau dieser Frauenerziehung durchaus etwas abgewinnen kann. Die nichts missen will von dem, was sie jemals - und auch damals - erfahren und gelebt hat.


Das hat damit zu tun, dass in dieser meiner Familie besonders liebevoll miteinander umgegangen wurde. Dass miteinander geredet wurde, wenn es Probleme gab. Dass man achtsam mit den Menschen rundherum umging. Dass Respekt und Wertschätzung selbstverständlich und nicht nur oberflächlich waren. Dass man sich Gedanken nicht nur über sich selbst sondern auch über die anderen Menschen machte. Dass man sich wichtig genug nahm, zu streiten und sich zeitnah miteinander zu versöhnen. Oder, passender gesagt, zu vertöchtern.

Dass also (auch) die gedeihliche Seite der Frauenrolle gelebt wurde.

Im Laufe meines Lebens habe ich mein Denken und Handeln immer und immer wieder in Relation zu den mir vermittelten Werten gesetzt. Habe das, was ich daran für kontraproduktiv hielt, möglichst vermieden und abgelegt. Habe jedoch die mir sinnvoll scheinenden Aspekte in meinen eigenen Wertekatalog eingeschrieben. Dieser basiert auf einer gleichberechtigten Koexistenz aller Menschen, unabhängig von Ethnie, sozialer Zugehörigkeit und Geschlecht. Wobei es, und das ist mir sehr wichtig, um Gleichwertigkeit geht und nicht um Gleichmacherei.

Und jetzt bin ich (endlich) zu jenem Punkt gelangt, der mich seit geraumer Zeit intensiv beschäftigt.


Ich empfinde, dass das Positive, das die rollenspezifische Erziehung bei Frauen (tendenziell) bewirkt hat, mehr und mehr in unserer Gesellschaft verschwindet. Damit meine ich insbesondere die relativ höhere soziale Kompetenz.

Keine Angst, mir schweben nicht die dauerlächelnden, nach außen in jeder Situation lieben Frauen vor. Ganz bestimmt nicht. Ich will nicht mehr die bis zur Selbstaufgabe alles und jedes verstehenden und entschuldigenden Frauen. Ich will nicht, dass Frauen sich ihres Geschlechts wegen selbst benachteiligen und duldsam benachteiligen lassen. Sicher nicht. Ich will vor allem auch diese absurde Aufteilung in männlich und weiblich nicht, die ein Entweder / Oder verlangt und nichts darüber hinaus zulässt.

Nur würde es der Gesellschaft meines Erachtens sehr gut tun, wenn diese soziale Kompetenz, die viele von uns Frauen "mit der Muttermilch" eingeflößt bekommen haben, mehr statt weniger würde. Dass sie sich auch bei den Männern breit machte, statt generell immer mehr zu verkümmern.

Ich sehne mich danach, dass Aggression und Gewalt auch bei Männern nicht toleriert wird und zurückgeht und nicht, dass sie als fatale "Errungenschaft" der Gleichberechtigung nun auch bei Frauen fröhliche Urständ feiert.

Wollen Sie, dass der Wertekanon unserer Gesellschaft generell hinuntergeschraubt wird und Männer und Frauen unfröhlich vereint auf diesen pfeifen? Ich nicht.


Ich wünsche mir eine humane Gesellschaft, an der alle Menschen ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten, Neigungen und Fähigkeiten entsprechend teilhaben und am friedlichen Gedeihen mitwirken. Dafür sind manche Aspekte der früher als weibliche Tugenden empfundenen Werte durchaus Not wendig.

Eine Utopie? Ja, aber es zahlt sich aus, dass jede und jeder von uns tagtäglich dazu beiträgt. Um nicht zu sagen: dafür kämpft. Aber wenn, dann bitte lächelnd. ;-)

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