Montag, 9. Januar 2012

NAMENTLICHER IDENTITÄTSWECHSEL

Angesichts einer mich in den Grundfesten meiner Identität erschütternden Namens-Information begebe ich mich in die Vergangenheit. Namentlich und bildlich. Mal sehen, was herauskommt...


Mein Vorname ist Susanne. Naja, eigentlich Susanna, was ich auch schöner finde. Aber in meinen ersten Lebenstagen hat sich eine Vokalverschiebung zwischen katholischem Pfarramt und Magistrat eingeschlichen. Sei's drum. Susanne passt auch.


Susanne heißt auf hebräisch die Lilie. Das wurde mir immer und immer wieder nahegebracht und hat mir auch seit jeher gefallen, weil schon immer Pflanzen liebend und geschmeichelt von der implizierten Schön- und Sanftheit.

Besonders hat mir gefallen, dass auf meinem Schulweg auf eine Hausmauer in großen Lettern "Susanne, du schöne Lilie" gemalt war. Zwar hatte ich keinen Verehrer zu jener Zeit, und schon überhaupt keinen, dem solch keckes Meisterstück zuzutrauen war, ich hoffte aber inbrünstig, dass dieses Zeichen der Zuneigung mir gewidmet war. Ich adoptierte es einfach, war gut fürs Selbstwertgefühl. Schöne Lilie. Schmelz.


Als ich mich aber gestern im Netz generell über Vornamen kundig machte und aus Jux und Tollerei auch Susanne aufschlug, schlug neues Wissen bei mir ein:

Susanne - Susanna, Sanna, Sanne, Sanni, Su, Susa, Susan, Susanka, Susannah, Suse, Susen, Susi, Susette, Suzan, Suzette;
hebräisch; die Lilie, wildes Pferd


He? Wildes Pferd??? Ganz abgesehen von dem sprachlichen Mysterium, dass das selbe Wort so grundlegend unterschiedliche Bedeutungen haben kann, erzitterte meine bisher so züchtig in Lilien gebettete Identität.



War das der Grund, dass meine Mutter immer wieder grinsend (aber nicht so ganz furchtfrei) ihre Angst kundtat, dass ich eines Tages mit einem Zirkusreiter durchgehen könnte? Ich dachte immer, sie sah mich AUF dem Pferd! Uncharmant...

Na, dann überlege ich mal, was diese erschütternde Information für meinen weiteren namentlichen Werdegang geheissen hat - und hätte.


Bis zu meiner Verehelichung (war fast eine Kinderhochzeit, was mich betrifft), war ich ja die Susi. Nur wenn meine Mutter Rüge im Vorfeld einer Botschaft signalisieren wollte, kam ein langgezogenes, mit drohendem Unterton sirenenartig gesungenes: Suuuusaaaannnna! So ruft man kein Wildpferd, das beflüstert man bekanntlich.


Meine Schwester merkte spitz an, dass alle Dackel und Elefanten Susi hießen und abstehende Ohren hätten, was angesichts diverser anderer Anmerkungen und Aktionen ihrerseits das Schwesternkraut auch nicht mehr fett machte. Wilde Pferde erwähnte sie nie.


Meine Englisch-Lehrerin entwickelte mit zunehmender Unzufriedenheit über meinen Eifer eine unnachahmliche Art Souuuuusn zu sagen (bitte beim Lesen mit dem Unterkiefer einen weiten, sehr gespannten Bogen umschreiben), auch das nahm ich ungerührt hin. Erst als sie ein Schauferl nachlegte und mir mit kreischender Stimme entgegenschleuderte: "Souuuuuusn, beim Schwindeln beginnt die Jugendkriminalität", begann ich, diesen Spitz.Namen zu lieben. Ich hatte gewonnen. Sie war auf der Palme, weil ich besser schwindelte als sie sah. Denke noch heute dran; bei jedem Vokabel, das ich im Leo nachschlagen muss, weil ich weiland wegen meines Lieblingssports E-Profin-Auf-Die-Palme-Jagen leider nichts lernen konnte. Möglicherweise sind bei ihr die Pferde durchgegangen. Aber da war ich nicht darunter.



Nach kaum vollzogener Ehe beschloss dann mein Frischgebackener, dass ich mit dem Nachnamen tunlichst auch den Vornamen wechseln sollte. Denn Susi würde alsbald peinlich werden. Eine dringend nötige Aktion für eine 19jährige, die mit fliegenden Haaren ins namentlich identitätswechselnde Erwachsenenleben stolperte. Die weißen Lilien, mit denen meine Mutter nichtsahnend und liebevoll die gesamte Kirche schmückte, waren pferdefreies Ehe-Programm.


Also war die unschuldige, rechtschaffene, aufrichtige, belastbare und lilienliebende Susanne betoniert, der sich nur meine Familienmitglieder widersetzten und die Freundinnen aus Kindheitstagen. Die ließen sich die Susi nicht vermiesen und ich danke ihnen noch heute dafür. Würde es ihnen sehr übel nehmen, fingen sie plötzlich mit so ernsthaft Gesittetem wie Susanne an.


So laufen diese Namen (Ausnahme Souuuuuusn, hab mich mit der E-Profin ausgesöhnt, sie hat sich dem Susannenlager angeschlossen) denn weiter parallel. Damit einher geht ein kleines Stück Persönlichkeitsspaltung. Ich fühle mich nämlich anders, wenn ich die Susi bin. Ganz, mit meiner bunten Geschichte, die so viel Verrücktes und Chaotisches enthält, er- und gekannt.


Als Susanne gehe ich selbstbewußter und unverletzlicher durchs Leben. Habe meine Strategien des Versteckens hinter Professionalität und Hirn zur Hand.


Und wo zum Teufel ist das wilde Pferd? Deutet sich das nur in den Dimensionen meines Hinterns an? Oder habe ich da die ganze Zeit was übersehen?


Nein, nur nicht in Verbindung mit meinem Namen gebracht. So sehr ich mich im Laufe meines Lebens auch bemühte: ich bin halt nicht nur auf Florales zu beschränken.



PS: Wie das Leben so spielt: Jetzt bin ich auch Susanna. Aber nur sehr exklusiv, in Zirkuspferd- und -reiterkreisen.

4 Kommentare:

  1. Solche Häutungen kenne ich. War ich doch als Kind - ohne dass es mir bewusst war - die "kleine Anna" und damit irgendwie die Fortsetzung meiner Oma Anna (was ich meinen Namensgebern nie übel genommen habe, da ich diese Oma sehr mochte).
    Später dann wollte ich dann doch mal wissen, ob ich meinem Namen eine eigenständige Bedeutung entlocken kann - und erfuhr, dass der Ursprung bei Hannah, der Begnadeten (oder auch Liebreizenden, Anmutigen) liegt. Danach habe ich die Namensforschung erschrocken eingestellt.
    Im vergangenen Jahr aber wollte ich es dann doch nochmal wissen - im Online-Zeitalter kann es ja nicht schaden, den einen oder anderen Alias-Namen zu nutzen. Der sollte dann aber doch irgendwie mit meinem Realnamen in Verbindung stehen.
    Und dabei stieß ich auf die Vermutung, dass mein Vorname mit der irischen Ur-Göttin Anu in Verbindung stehen könnte. Und da ich Irland vor gut 2 Jahren kennen- und liebengelernt habe, gefällt mir diese Deutung.
    Die Möglichkeit, mein Name könne auch eine weibliche Ableitung von Anno bzw. Arnold (bedeutet irgendwas mit Adler und Wald) sein, ignoriere ich einfach.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Habe mich soeben an den Blog-Statistiken ergötzt und bin dann auf diesen Beitrag gegangen, um ihm das Rätsel zu entreißen, warum er so häufig angeklickt wurde.
      Da entdecke ich voll Schreck, dass ich auf Deinen Kommentar samt Beschreibung Deiner "Namenshäutung" nicht geantwortet habe, liebe Antje. Dabei ist mir gerade Deine Darlegung öfters durch den Sinn gezogen...
      Wahrscheinlich hatte ich schlicht ein schlechtes Gewissen, weil ich Deinen Vornamen mehrmals vertauscht und Dich eigenmächtig umbenannt habe.
      Zumindest Unrechtsbewusstsein habe ich, halte es mir zu Gute. Ob Nichtantworten aber als Entschuldigung durchgeht oder gar zur Wiedergutmachung taugt, sei mal in Frage gestellt. ;-)

      Löschen
  2. Hm. Ich bin drei. Evi, Eva und Eva-Maria. Und die drei brauch ich auch. Grins.

    Und wir mögen deinen Artikel - alle drei.

    AntwortenLöschen
  3. Fein liebe Evi, liebe Eva und - last not least - liebe Eva-Maria! Jetzt hab ich drei neue Leserinnen. Freu!

    AntwortenLöschen

Über konstruktive Kommentare, Fragen und Anregungen freue ich mich!