Samstag, 17. Dezember 2011

GO WEST

In einer Woche ist Weihnachten und Frau am Werk hat leichte Zeitprobleme. Alle Jahre wieder. Wäre doch langweilig, wenn es nicht so wäre. Weihnachten kommt prinzipiell überfallsartig. Hab keinen Weihnachtsstress - und das ist vielleicht mein Problem. Denn ich will ja meinen Lieben was schenken, ich will ja einen ganz besonderen Tag feiern und genießen. Aber ich habe ja noch Zeit, das alles vorzubereiten. Irgendwann.

Gar nicht in den Kram hat mir gepasst, dass ich gestern in Wien zu tun hatte. In der Früh hin, am Abend wieder zurück.


Es begann mit einer satten halben Stunde Wartezeit aufs Taxi, das mich den gewünschten Zug verpassen ließ und die ersehnte Möglichkeit gab, dem zweiten atemlos und herzlich hinterherzuwinken. Und für eine Stunde Warten am eiskalten, im Umbau begriffenen Salzburger Bahnhof mit Blick auf seine Barrieren, weihnachtlich anmutende Luftgebilde mit Blick auf den Untersberg.




In Wien presste ich mich dann in überfüllte U-Bahnen, vergaß meine Tasche in der Tasche mit Geld, Papieren, Handy und anderen Nebensächlichkeiten in einem Café, wurde waschelnaß (man könnte auch klatschnass sagen, aber es war nicht zum Klatschen), und fand bei der wieder einmal atemlosen Rückkehr ins Café mein Taschl friedlich auf dem Sessel auf mich wartend.

Die Fleißaufgabe des nun vierfach durchquerten 4. Bezirk lohnte sich. Fundstücke wurden aufgesammelt, Kitsch wenn möglich übersehen. Aber immer ging es halt nicht.






Meinen aktiv noch mehr durcheinandergewürfelter Zeitplan verlängerte meine Zunge auf geschätzte 2,37 Meter. Ich wunderte mich, dass niemand bei der folgenden U- und Straßenbahnfahrt draufstieg.

Dann aber blieb mir die Spucke auch noch weg. Der Himmel wurde schwarz, durchbrochen von grellgelbem Licht. Ich war verzaubert und nestelte aus meiner Tasche die Kamera heraus, zwei mal dabei den Herrn, der halbrechts auf mir pickte, unsittlich berührend. Die fünf weiteren Personen, die an meinem Körper klebten, nahmens mit Vergnügen zur Kenntnis. Irgendwie muss ich doch zur Freude der Menschen beitragen in der Vorweihnachtszeit.

Da es nun auch schon egal war, schon ich mich an einigen Passanten weiter und presste mich ausblicknah an einen jungen Mann, dem dies erwartungsgemäß so peinlich war, dass er den Platz am Fenster freigab und sich verkrümelte. Hatte was von mürben Vanillekipferl, die man zwischen den Fingern reibt. Auch sein Gesichtsausdruck. Der Arme.







Dann erreichte ich die angepeilte Station und stolperte mehr aus, als es mir lieb war. Und blieb - Zeitdruck hin oder her - am Bahnsteig fasziniert stehen. Bin kein Hundertwasser-Fan, aber der der Schlot der Müllverbrennungsanlage Spittelau in diesem Licht war wahrlich kein Dreck!


Das sind Glücksmomente für mich. Ich koste sie aus, es bleibt alles rundherum stehen und wenn nicht das nicht real geschieht, so warte ich, bis mich nichts und niemand mehr stört.




Weiter verfolgte ich das Spiel des Lichts, nun schon im angesagten gestrecktem Galopp.









Was der schwarze Himmel über AWD wohl sagen will?
Diszipliniert und brav (und froh über das Gehverbot) stand ich bei der Ampel, meine Augen noch immer auf Aufnahme geschaltet.




Die "verlorene" Zeit brachte ich durch die Inanspruchnahme eines Taxis herein und war in den nächsten Stunden von Herzen dankbar für die Zeit, die ich mir zum seelischen Auftanken gegeben hatte und das Wunder Licht, das mich die fast "unerträgliche Leichtigkeit des Seins" hat spüren lassen. (Danke, Milan Kundera für diesen Titel. Er gibt mir manchmal die Worte für mein Gefühl.)

Beim Zurückgehen zur U-Bahn löste sich mein Druck erst, als ich mit Nachtfarben spielte. Ohne Stativ, aus der Hand, noch leicht zittrig vom inzwischen Erlebten.







Im öffentlichen Fortbewegungsmittel kehrte das Grinsen wieder in meine Augen zurück.


Das Österreichische hat schon manchmal einen besonderen Touch, an dem man sich wieder in der Luft der Realität festhalten kann.


Am schnieken neuen Westbahnhof, wo man die Bahn vor lauter Shoppingmall nicht sieht, harrte ein Zug der "Westbahn" meiner, die seit 10. Dezember die Strecke Wien-Salzburg fährt. Das heikle Thema "Liberalisierung öffentlicher Verkehrsmittel" klammere ich bewußt aus. Fest steht, dass diese Bahnfahrt eine meiner vergnüglichsten ever war, weil eine erquickliche Begegnung die andere jagte. Nicht direkt ein Verdienst der Westbahn, aber was solls.





Ein guter Tag, mit extremen Höhen und Tiefen. Ein tief empfundener Tag. An dem mich wieder einmal der Blick aus dem Versinken gerettet hat.

Na, dann sag ich halt auf gut Wienerisch

5 Kommentare:

  1. Tolle Geschichte - es fehlt nur noch der Mord im vorbeifahrenden Zug...;-)

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  2. War ja nicht der Orientexpress, sondern die Westbahn...

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  3. Jetzt hab ich so ein schönes Hözl für CineastInnen geworfen, niemand stellt was richtig.
    Hätte in Antwort auf den Erstkommentator sagen sollen: bin ja nich um 16.50 Uhr weggefahren.

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  4. Hallo ..gratuliere dir zu diesem spannenden Blog..
    nur dein Hölzl ..verstehe ich auch nicht ..
    auf bald und lg Monika

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  5. Hab den falschen Film angegeben. Jetzt stimmts. Nicht "Orient Express", sondern "16:50 ab Paddington". Mit der unvergleichlichen, umwerfenden Margaret Rutherford.
    Mir ist auch nix zu blöd, um Kommentare zu bekommen ;-) Dank Dir für Deine mordlose Mitfahrt!

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